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Kräftemessen im Sicherheitsrat

Im Weißen Haus in Washington steht das Telefon nicht mehr still. Kurz vor der entscheidenden UN-Sicherheitsratssitzung läuft Amerikas Telefondiplomatie auf Hochtouren.


US-Präsident George W. Bush spreche mit Chile, Kamerun und Angola, heißt es in diplomatischen Kreisen am UNO-Hauptsitz in New York. Kurz vor der entscheidenden Kraftprobe mit Frankreich, Deutschland, Russland, China und anderen Kriegsgegnern im Weltsicherheitsrat – möglicherweise schon an diesem Freitag – läuft Amerikas Telefondiplomatie auf Hochtouren.

Washington will „Wackelkandidaten“ im Sicherheitsrat wie Chile, Kamerun und Angola sowie auch Mexiko und Guinea die Stimmen für eine Resolution mit der Ermächtigung zum Militärschlag abringen. Amerikas engster Verbündeter, Großbritannien, feilt bereits am Wortlaut der so genannten zweiten Irak-Resolution.

Dabei dürfte die Feststellung unabhängiger Experten, dass Bagdads El-Samoud-2-Raketen eine Reichweite von 180 Kilometern haben und damit gegen UN-Resolutionen verstoßen, Großbritannien und den USA Munition geben. Ob der Fund ausreicht, ihnen bei einem Votum im Sicherheitsrat die erforderlichen 9 von 15 Stimmen zu sichern, war am Donnerstag noch nicht abzuschätzen. Erwartet wird, dass Washington besonders hartnäckigen Kandidaten ein Ja zusätzlich mit wirtschaftlichen Zusagen honoriert.

Zweifellos wird die Frage der Raketen-Reichweite an diesem Freitag auch eine Rolle beim Zwischenbericht der UN-Chefinspektoren Hans Blix und Mohammed El Baradei zum Stand der Irak-Abrüstung spielen. Während El Baradei bisher keine Hinweise für eine nukleare Wiederaufrüstung Bagdads gefunden hat, spricht der für chemische und biologische Waffen sowie für Raketensysteme zuständige Blix seit Wochen von gemischten Ergebnissen. Ihm fehlt die Unterstützung des Irak in substanziellen inhaltlichen Fragen.

Dass es bei der Sitzung am Freitag um viel geht, lässt die hochkarätige Besetzung ahnen. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer führt die Sitzung erneut als Präsident des Sicherheitsrates. Neben ihm werden wieder seine Amtskollegen aus Frankreich, Russland, China und Spanien Platz nehmen. Als letzter sagte US-Außenminister Colin Powell zu, der dem Rat vergangene Woche umfangreiches Material von US-Geheimdiensten vorgelegt hatte, das nach Auffassung Washingtons beweist, dass Bagdad im Besitz von Massenvernichtungswaffen ist.

Nach Powells Werben für einen Irak-Krieg wollen jetzt Paris, Berlin, Moskau und Peking unterstreichen, dass die Zeit für einen Militärschlag noch nicht gekommen ist. Ihre Diplomaten in New York geben sich optimistisch und glauben, bis zu 11 der 15 Mitglieder im Rat auf ihrer Seite zu haben. Offiziell sei noch niemand abgesprungen, hieß es am Donnerstag. Als Verteidiger des Status quo in punkto Waffeninspektionen brauchen die Kriegsgegner laut UN- Charta sogar nur eine „Sperrminorität“ von sieben Stimmen.

Beobachter halten es für möglich, dass London schon am Freitag seinen Resolutionsentwurf einbringt. Entscheidend sei weniger der Termin als das Format des Dokuments, hieß es. Ein geschickter Schachzug wäre, unter Verweis auf das lückenhafte Waffendossier der Iraker und ihre mangelnde Kooperation bei den Inspektionen kurz und bündig eine „erhebliche Verletzung“ von Resolution 1441 festzustellen. Damit käme – nach US-Interpretation – jener Paragraf von 1441 zum Tragen, der bei erheblichen Verletzungen militärische Aktionen rechtfertigt, erläutern UN-Diplomaten.

Eine Alternative wäre die „Umarmungsstrategie“. Das hieße, dass Amerikaner und Briten auf die Bedenken der entschiedenen Kriegsgegner eingehen – allerdings nur befristet. Ein Ultimatum von drei oder zwei Wochen – oder sogar nur von wenigen Tagen – gebe Washington die nötige Zeit, um seine militärischen Vorbereitungen abzuschließen. Gleichzeitig hätte es politisch die letzten Weichen für einen Angriff gestellt.

Denn in beiden Fällen könnten weder die Wackelkandidaten noch erklärte Kriegsgegner im Sicherheitsrat guten Gewissens mit Nein stimmen. Selbst eine Stimmenthaltung wäre vor allem im ersten Szenario nur schwer vertretbar, sagen UNO-Diplomaten.

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