Kommen Jugendliche gratis an Nikotinbeutel? Kritik an Altersverifikation und Online-Werbung

Mehrere Anbieter von Nikotinbeuteln bewerben online kostenlose Testpakete. Meist genügt eine einfache Registrierung. Christian aus Bludenz wurde durch Socia-Media-Werbung für Nikotinbeutel und Gratis-Testpakete darauf aufmerksam. Er machte den Selbsttest: Wie einfach kommt man an die Beutel und wie sieht die Alterskontrolle aus?

Altersverifikation zu lasch?
Beim Bestellprozess des kostenlosen "Discovery Kits" müsse man lediglich ein Ausweis hochladen, schildert der Leser. Eine Identifikation der tatsächlich bestellenden Person sei aus seiner Sicht nicht erfolgt: "Das Alter ist durch Vorlage eines Ausweises zwar geprüft worden, doch was nicht geprüft wurde, und das ist wichtiger, ist die Identität der Person, die den Ausweis vorlegt", meint er. "So kann ein Jugendlicher sich mit einem fremden Ausweis als ‚älter‘ ausgeben, somit greift die Verifikation de facto nicht." Das Paket mit vier Dosen à 20 Beuteln erreichte ihn bereits am Folgetag, wie er berichtet.
Werbung: "Einfach mal den Moment genießen"
Auch die Social-Media-Werbung der Nikotinbeutel-Marken sieht der Bludenzer kritisch. Seitens der Unternehmen werde das Thema Jugendschutz "äußerst lasch durch- bzw. umgesetzt", so seine Wahrnehmung. "Die Werbung, die das Unternehmen in Social Media geschaltet hat, zielt eindeutig auf Jugendliche ab."

Ein Rundumblick von VOL.AT zeigt: Auf Plattformen wie Instagram oder Facebook werben Anbieter meist mit Szenen, in denen Gruppen junger Menschen zu sehen sind. Sie teilen auch Beiträge zu Festivals und anderen Events, bei denen sie aktiv sind. Am Rande folgt dann in der Beitragsbeschreibung ein Hinweis, den man auch auf der Homepage findet: "18+. Dieses Produkt enthält Nikotin: einen Stoff, der sehr stark abhängig macht."
Sichere Lösung gefordert
"Dass solche Produkte kostenlos beworben und zugänglich gemacht werden, während die Altersverifikation leicht umgangen werden kann, halte ich für verantwortungslos", so der Bludenzer gegenüber VOL.AT. Als mögliche Lösung für die Altersverifikation nennt der Leser ein Video-Ident-Verfahren. "Nur so kann sichergestellt werden, dass wirklich die Person bestellt, die auf dem Ausweis zu sehen ist", meint er. Die aktuelle Praxis sei "wirkungslos". Er sieht Behörden und Jugendschutz klar gefordert.
Jugendliche und ihr Umgang mit Nikotinbeuteln
VOL.AT hat sich in Dornbirn umgehört, wie Jugendliche zum Konsum von Nikotinbeuteln stehen. Ein 15-Jähriger erklärte, er kenne niemanden, der die Beutel verwende. Er selbst fand es ungesund. Als Sportler wollte er seine Ausdauer nicht gefährden. So wie ihm ging es auch einer Gruppe von 13 bis 15-Jährigen Jungs aus Dornbirn: Sie hätten es noch nie probiert, erklärten sie. Sie sähen derzeit keinen Reiz daran. Einer von ihnen meinte zudem, er wisse, wie schädlich es für das Zahnfleisch sein könne und bleibe daher lieber bei Süßigkeiten.

Aber es gab auch andere Jugendliche, die sehr wohl den Reiz kennen: Ein Lustenauer war mit seiner Mama in Dornbirn unterwegs. Der 15-Jährige gab an, er selbst konsumiere keine Pouches. Auch in seiner Klasse kenne er kaum jemanden, anders sei das allerdings in der Nebenklasse, wo es "in" sei. Er selbst und seine Mutter halten beide nichts von Nikotinbeuteln. Sie zeigte sich gegenüber VOL.AT überrascht, dass ihr Sohn im Umfeld Konsumenten der Beutel hat. Es sei "eigentlich brutal", dass manche Jugendliche das bereits konsumieren, meinte sie.

VOL.AT sprach auch mit zwei 16-jährigen. Einer von ihnen erklärte, er sei "damals" mit 12 bzw. 13 Jahren zu Nikotinbeuteln gekommen und habe sie öfters konsumiert. Es sei ein Trend in der Schule gewesen, gibt er zu verstehen. Sein Kumpel gab an, er nehme Nikotinbeutel heute nur noch selten. Der Zugang dazu erfolgte bei den beiden über die Schweiz, da sie nahe der Grenze wohnen. Früher waren Nikotinbeutel dort ab 16 erhältlich, heute bekommen sie sie von älteren Kollegen.

Eine 17-Jährige Höchsterin ging ganz offen mit ihrem Nikotinbeutel- bzw. Snus-Konsum um. Sie nehme es selbst, erklärte sie auf die Frage, wie es in ihrem Umfeld aussehe. Man könne es zwar für unter 18-Jährige verbieten, doch auch Minderjährige würden konsumieren, gibt sie zu verstehen. Den meisten in ihrem Umfeld sei es relativ egal, dass es schädlich sei. Zu den Nikotinbeuteln kommen sie und ihre Bekannten über ältere Verwandte und Bekannte. Sie sehen es als "Genussmittel" und eine Art Stressabbau.
So reagiert ein Anbieter auf die Kritik
Auf VOL.AT-Anfrage hat ein Unternehmen Stellung genommen. Ralf-Wolfgang Lothert ist zuständig für die Kommunikation bei "Nordic Spirit". Auf der Webseite sei "dem Bestellvorgang ein mehrstufiger Prozess der Altersverifikation hinterlegt", erklärt er. "Dieser erfüllt alle technischen Voraussetzungen, um in einem Online-Kaufvertrag die Altersdaten der Nutzerinnen zu überprüfen." Der Ablauf wurde laut ihm bewusst gestaltet: "Aus Sorgfaltsgründen haben wir uns für diesen mehrstufigen Prozess entschieden, der über dem Industriestandard liegt."
Der Prozess umfasse mehrere Schritte: Beim ersten Aufruf der Website werde die Volljährigkeit abgefragt, anschließend sei eine Registrierung mit Name und Geburtsdatum notwendig. Danach würden Nutzer zu einem Drittanbieter weitergeleitet: "Nach Weiterleitung der Nutzerinnen zu einem Drittanbieter muss ein gültiges Ausweisdokument fotografiert und hochgeladen werden", so Lothert. Dieser überprüfe, ob Ausweisdaten und manuell eingegebene Daten übereinstimmen. "Nur in diesem Fall, und wenn diese Überprüfung ergibt, dass die Person älter als 18 Jahre ist, kann der Prozess fortgesetzt und abgeschlossen werden", so der Sprecher.

Hälfte der Anmeldeversuche wird abgelehnt
Dabei werden auch Anmeldeversuche abgelehnt, wie Lothert angibt: "Im Zuge dieser Stufe der Altersverifikation werden rund die Hälfte der Anfragen abgelehnt", verdeutlicht er. Etwa, wenn das Bild des Ausweises unscharf ist oder bei unterschiedlichen Schreibweisen des Namens, einem abgelaufenen Ausweis etc.
Das Unternehmen verweist auch auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen: "Eine tatsächliche Identitätsfeststellung ist in Österreich in einigen Bereichen, z. B. im Bankenbereich, gesetzlich geregelt bzw. Behörden vorbehalten." Ein Video-Ident oder Ähnliches ist aktuell nicht vorgesehen: Der mehrstufige Altersüberprüfungsprozess biete "ein sehr hohes Maß an Kontrolle, weit über den Industriestandards, insoweit denken wir momentan keine weiteren Maßnahmen an".
Instagram nur für über 18-Jährige sichtbar
Zum Thema der Social-Media-Werbung erklärt der Unternehmenssprecher: "Social-Media-Inhalte (Instagram) sind ausschließlich für Accounts sichtbar, die von erwachsenen Personen über 18 Jahren registriert sind." Die Kommunikation bewege sich innerhalb des "Österreichischen Selbstregulierungsrahmens für tabakfreie Nikotinbeutel". "Wir halten uns also nicht nur strikt an alle gesetzlichen Vorgaben, sondern haben uns extra noch höheren Standards unterworfen", betont Lothert.
SUPRO warnt: "Mehr Nikotin als bei Zigaretten"
Nikotinbeutel ohne Tabak unterliegen laut der SUPRO anders als Snus (mit Tabak) nicht dem EU-weiten Verkaufsverbot, aber auch nicht dem Tabak-Gesetz in Österreich. "Sehr wohl unterliegen Nikotinbeutel jedoch dem Jugendschutzgesetz", informiert Andreas Prenn auf VOL.AT-Anfrage. "Online-Anbieter müssen altersverifizierende Maßnahmen wie ID-Checks anbieten. Natürlich gibt es dabei auch Durchsetzungsprobleme, insbesondere wenn Jugendliche gefälschte Ausweise bzw. Fremdausweise verwenden oder Über-18-Jährige die Produkte für Jugendliche erwerben."

Aus suchtpräventiver Sicht sei der Zugang bedenklich: "Je früher der Konsumeinstieg erfolgt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit bzw. desto schlechter ist die Verlaufsprognose der Abhängigkeitserkrankung", so der Leiter der SUPRO. Jugendliche entwickeln demnach schneller eine Abhängigkeit als Erwachsene. "Dazu kommt, dass bei Nikotinbeutel mehr Nikotin, als z.B bei Zigaretten, aufgenommen wird, wodurch man stärker und schneller abhängig wird."
Genaue und nicht leicht zu umgehende Altersverifikationen wären aus Sicht der SUPRO wünschenswert. "Jugendspezifische Schutzmaßnahmen sind bei Social-Media-Kampagnen nur schwer umzusetzen", verdeutlicht Prenn. "Aus Sicht der Suchtprävention macht hier eine generelle Erweiterung des Tabakwerbeverbotes auf tabakfreie Produkte (wie z.B. Nikotinbeutel) mehr Sinn."

Gesundheitliche Folgen
Zudem warnt Prenn vor gesundheitlichen Folgen: "Nikotinbeutel verursachen Schleimhautreizungen und beschleunigen Zahnfleischrückgang. Wenn Jugendliche konsumieren, treten diese Probleme schon in geringerem Lebensalter auf." Auch das Risiko für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steige durch Nikotin. "Nikotin kann auch die Hirnentwicklung (bis ca. 25. Lebensjahr) negativ beeinflussen", so Prenn weiter.
Gratis-Proben "natürlich abzulehnen"
Auch in puncto Werbung sieht die SUPRO Handlungsbedarf: Aus suchtpräventiver Perspektive sei die Akzeptanz von Nikotinbeutel und ähnlichen Produkten im öffentlichen Raum "ebenso bedeutend für die Verbreitung dieser Produkte unter Jugendlichen, als Onlinewerbung". Es gehe dabei auch um die Vorbildwirkung und sogenannte "Normative-beliefs". Als Beispiele nennt er den öffentlichen Verkehr, Unternehmen, Schulen und Vereine. "Gratis-Proben, oder ähnliches, von Nikotinprodukten sind natürlich abzulehnen", betont Andreas Prenn auf VOL.AT-Anfrage.
Politik reagiert: Gesetzesentwurf liegt vor
In Vorarlberg ist der Verkauf und Konsum von Nikotinbeuteln an Personen unter 18 Jahren seit März 2023 verboten. Das Gesundheitsministerium hat bereits im Jänner 2025 einen Entwurf für ein neues Tabak- und Nikotinsucht-Gesetz (TNSG) vorgelegt. Dieser sieht vor, dass Nikotinbeutel – ähnlich wie Zigaretten – nur mehr an Personen über 18 Jahre verkauft werden dürfen. Künftig sollen diese Produkte nur mehr in Trafiken erhältlich sein, Warnhinweise werden verpflichtend, Werbung soll eingeschränkt werden. Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sprach von einem "unverantwortlichen Zustand".
(VOL.AT)