In ihrer stillen Grandezza und programmatischen Vielfalt offenbaren die vier Orchesterkonzerte der Bregenzer Festspiele 2025 ein Panorama sinfonischer Erzählkunst – von impressionistischer Verführung über nationale Mythen und pianistische Virtuosität bis hin zu einer musikalischen Hommage an Gustav und Alma Mahler. Die Wiener Symphoniker stehen dabei gleich dreimal im Zentrum, flankiert vom Symphonieorchester Vorarlberg sowie einem Reigen international gefeierter Solist(inn)en und Dirigierpersönlichkeiten.
21. Juli 2025, 19.30 Uhr: Elim Chan mit den Wiener Symphonikern
Es ist ein Debüt, das aufhorchen lässt: Die in Hongkong geborene Elim Chan, eine der strahlendsten Dirigentinnen der jungen Generation, gibt mit einem fein gewobenen französischen Programm ihren Einstand bei den Festspielen. Chans Weg führte sie vom Kinderchor und Klavierunterricht über die Donatella Flick Conducting Competition zu Auftritten bei den BBC Proms und dem Boston Symphony Orchestra. Nun betritt sie die Seebühne des Festspielhauses mit einem klanglich vielschichtigen Programm zwischen Spätromantik und Symbolismus. Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune eröffnet den Abend mit duftiger Erotik und klanglicher Suggestion – ein impressionistisches Fenster in eine Welt der Halbträume. Rihab Chaieb, die kanadisch-tunesische Mezzosopranistin, leiht Ravels „Shéhérazade“ ihre Stimme: drei Lieder, in denen sich die Exotik orientalischer Fantasie mit Tris-tan Klingsors poetischer Sensibilität verbindet. Danach wirft Mélanie Bonis in „Trois femmes de légende“ einen weiblichen Blick auf mythologische Frauengestalten – ein fast vergessener Schatz aus der Feder einer französischen Pionierin. Den Abschluss bildet Debussys La Mer, ein eruptives Triptychon über das Meer – vieldeutig, schillernd, gewaltig.
II. Kullervo, der Verstoßene: Jukka-Pekka Saraste und ein finsteres Epos
27. Juli 2025, 11.00 Uhr: Jukka-Pekka Saraste dirigiert Sibelius’ „Kullervo“
Der Vormittag gehört der nordischen Seele: Jukka-Pekka Saraste, selbst Finne, führt Sibelius’ gewaltige, selten gespielte Kullervo-Sinfonie auf – ein Werk, das weniger sinfonische Entwicklung als musikalisches Drama ist. Ins-piriert vom Kalevala, dem finnischen Nationalepos, erzählt Sibelius darin vom tragischen Helden Kullervo, der – ähnlich wie Ödipus – in einem Strudel aus Schicksal, Inzest und Verzweiflung untergeht. Das fünfteilige Werk, 1892 in Helsinki uraufgeführt, ist eine Mischung aus Tondichtung, Kantate und sinfonischer Erzählung mit Bariton- und Sopran-soli, Männerchor und monumentalem Orchesterapparat. Ergänzt wird das Programm durch „Drifts”, eine klanglich dichte, eruptive Komposition des zeitgenössischen Finnen Sebastian Fagerlund – als klanglicher Widerhall des Mythos in moderner Sprache.
III. Bravour mit Seele: Mao Fujita spielt Rachmaninow
Am 4. August 2025 um 19.30 Uhr spielen Petr Popelka und die Wiener Symphoniker
Mit einer Kombination aus Virtuosität und Introspektion begeistert Mao Fujita seit einigen Jahren das internationale Konzertpublikum. Nun gibt der junge Japaner mit Rachmaninows drittem Klavierkonzert – einem der pianistischen Höllenritte schlechthin – sein Debüt bei den Bregenzer Festspielen. In „Shine“ filmisch verewigt, ist dieses Werk eine Gratwanderung zwischen romantischer Pracht und technischer Ekstase. Fujita, Silbermedaillengewinner beim Tschaikowski-Wettbewerb, verbindet spielerische Leichtigkeit mit struktureller Klarheit. Dirigiert wird das Konzert von Chefdirigent Petr Popelka, der sich sowohl in Rachmaninows Klangportalen als auch im philosophischen Tonfall von Richard Strauss zu Hause fühlt. Dessen Tondichtung Also sprach Zarathustra, die durch Stanley Kubricks 2001 berühmt wurde, lässt den Abend in metaphysischen Höhen gipfeln: von den ersten Sonnenstrahlen des „Also sprach …“ bis zum existenziellen Tanz zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit.
IV. Alma und Gustav: Eine klingende Ehegeschichte
17. August 2025, 11 Uhr – Leo McFall und das Symphonieorchester Vorarlberg
Mit einem poetischen Sonntagskonzert widmen sich Leo McFall und das Symphonieorchester Vorarlberg einer außergewöhnlichen musikalischen wie biografischen Konstellation: Gustav Mahler und Alma Schindler. Ihre Liebesgeschichte, ihr Konflikt, ihr künstlerisches Potenzial – all das findet in diesem Matineekonzert sein Echo. Den Auftakt macht Oskar Fried, ein Mahler-Freund, dessen Fantasie über Motive aus „Hänsel und Gretel“ einen frühromantischen Ton anschlägt. Im Zentrum stehen sieben Lieder Alma Mahlers, orches-triert von David und Colin Matthews, darunter zwei, die eigens für die Bregenzer Festspiele bearbeitet wurden – musikalische Miniaturen zwischen Intimität und Emanzipation, interpretiert von Dorottya Láng. Den Abschluss bildet Gustav Mahlers 4. Sinfonie, in der die Sopranistin Sonja Herranen mit Engelsstimme vom himmlischen Leben singt – ein leiser, ironischer Ausklang eines Programms, das sich wie ein klingender Ehebrief zwischen zwei Jahrhundertgestalten liest.
Sinfonische Erzählkunst zwischen Weltspiegel und Innerlichkeit
Die vier Orchesterkonzerte der Bregenzer Festspiele 2025 präsentieren sich als Zyklus großer Geschichten: mythisch, poetisch, autobiografisch – und stets brillant besetzt. Ob Chan, Saraste, Popelka oder McFall: Jeder Dirigent bringt eigene Perspektiven und Klangvorstellungen ein, die in ihrer Summe ein musikalisches Weltpanorama eröffnen – facettenreich, berührend und dramaturgisch klug gesetzt. Ein Höhepunkt des Festspielsommers, der das Orchester als Erzähler in den Mittelpunkt rückt.