Wie wir Stärkendes aktivieren und „Geister der Vergangenheit“ loswerden können, erklärte Bindungsforscherin Antonia Dinzinger in der Reihe „Wertvolle Kinder“.
„Egal, was ein Mensch erlebt hat – eine
Unterbrechung negativer Beziehungsmuster ist möglich.“ Mit dieser guten
Nachricht eröffnete Antonia Dinzinger die neue Reihe „Wertvolle Kinder“ des
Vorarlberger Kinderdorfs. Denn sowohl positive als auch negative
Beziehungserfahrungen in der Kindheit beeinflussen unser Verhalten als Eltern.
Jedes Baby kommt laut der Psychologin mit einem Bindungsbedürfnis auf die Welt.
„Bindung ist das gefühlstragende Band zu einer Person, die größer, klüger,
stärker ist. Das Bedürfnis danach ist im Genotypus verankert.“
Mal Nähe, mal Welterkundung
Neben dem Bedürfnis, sich zu binden, haben Kinder aber auch den Drang, die Welt
zu entdecken. Im optimalen Fall halten sich Bindungs- und Explorationsverhalten
die Waage. „Mal wollen Kinder Nähe, mal sind sie auf Welterkundung unterwegs –
wie auf einer Wippe“, erklärte die Forscherin am Institut für „Early Life Care“
in Salzburg. „Ein Kind, das Angst hat, kann jedoch nicht explorieren. Je
sicherer ein Kind gebunden ist, desto ausgewogener ist das Verhältnis von
Bindungs- und Erforschungsbedürfnis.“ Sehr ausführlich erläuterte sie, wie
eigene Beziehungserfahrungen in sogenannten „Bindungsrepräsentationen“ beim
Kind münden, deren Bindungsverhalten als „sicher“, „unsicher“ und
„desorganisiert“ eingestuft wird. Die Bandbreite reiche von Kindern, die nur am
Rockzipfel der Mama hängen, bis zu jenen, die ständig am Ausprobieren und
Erkunden sind. „Fast immer jedoch ist von allen Bindungstypen was dabei“,
betonte Dinzinger.
Bindungsmuster werden weitergegeben
Die Forschung hat einen großen Zusammenhang im Beziehungsverhalten
des Kindes und jenem der Bezugspersonen erkannt. So gehen sicher-autonome
Eltern feinfühlig mit ihrem Nachwuchs um, sie bieten Trost, lassen das Kind
auch negative Gefühle zeigen und selbstständig Erfahrungen machen. Sehr auf
Nähe fokussierte Erwachsene hingegen haben Schwierigkeiten, sich auch nur für
kurze Zeit von ihren Kindern zu trennen und unterbinden jegliche
Autonomiebestrebungen. Am anderen Pol bewegen sich Eltern, die ihr Kind
emotional zurückweisen, seine Gefühle nicht wahrnehmen und nicht angemessen auf
die Signale ihres Babys reagieren können. Aufarbeitung braucht es laut der Expertin
vor allem dann, wenn Eltern in der Beziehung zu ihrem Kind völlig überfordert
sind und die emotionale Fürsorge auf der Strecke bleibt. „Es ist wichtig,
konkrete Handlungsstrategien für sehr belastende Situationen auszuarbeiten.“
Bewusstwerden eigener Stresstrigger
All unsere Erfahrungen als Kind beeinflussen, wie wir als Eltern handeln. Das machte Dinzinger in ihrem Vortrag deutlich. „Stärkende Erfahrungen dienen als Ressourcen und negative triggern als ,Geister der Vergangenheit‘ unser Verhalten und Erleben im Hier und Jetzt.“ Um die Weitergabe negativer Erfahrungen an nachfolgende Generationen zu stoppen, gelte es im ersten Schritt, die eigenen Trigger zu identifizieren. „Wir müssen uns über die Stressauslöser bewusst werden, um unser Verhalten verstehen und ändern zu können.“ Ebenso wichtig sei es, Ressourcen auszumachen: „Welche Personen haben uns als Kind bestärkt und ermutigt? Wer war wichtig außer den Eltern? Solche Perspektivengeber irgendwann im Leben und damit alternative Bindungserfahrungen können im Endeffekt den großen Unterschied machen.“
Feinfühligkeit kann trainiert werden
Erfolge würden auch erzielt, indem die Feinfühligkeit im elterlichen Umgang mit dem Baby trainiert wird. Zudem habe die Fähigkeit zur Mentalisierung, also sich in die Absichten und Gefühlswelt des anderen hineinversetzen zu können, sowie die Qualität der Paarbeziehung Auswirkungen auf das Beziehungsverhalten. Als größten Konkurrenten in der elterlichen Aufmerksamkeit machte Dinzinger zum Abschluss ihres spannenden Vortrags das Handy fest. „Es kommt zu einer Unterbrechung des liebevollen Blickkontakts und prägende Momente, in denen Bindung entsteht, werden verpasst – beispielsweise der vorbeifliegende Schmetterling, auf den Kind und Eltern gemeinsam begeistert reagieren.“
Der Vortrag „Beziehungsweise – Transgenerationale Weitergabe von Interaktions- und Bindungserfahrungen“ kann in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs auf www.vorarlberger-kinderdorf.at nachgehört werden.
Die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Zusammenarbeit mit den Medienpartnern ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vom Land Vorarlberg – Fachbereich Jugend und Familie – unterstützt.
Infos & Anmeldung zu allen Vorträgen:
T +43 5574 4992-5563
Autorin: Christine Flatz-Posch