"Kinder verhungern quasi vor dem gedeckten Tisch"

Es war eine TV-Dokumentation, die Doris Morscher zum ersten Mal auf „Ärzte ohne Grenzen“ aufmerksam machte. Die „sehr beeindruckenden“ Bilder aus Schülertagen blieben der jungen Bregenzerwälderin stets in Erinnerung. Nach Abschluss ihrer Turnusausbildung fasste sie trotz eines guten Jobangebots den Entschluss, für die Hilfsorganisation zu arbeiten. Erste Auslandserfahrung hatte sie bereits während des Studiums gesammelt: In Kamerun – im Krankenhaus von Russ-Preis-Trägerin Elisabeth Neier. Ihr erster Einsatz führte die 31-jährige Allgemeinmedizinerin im Jahr 2010 in den Tschad. In Massakory, etwa 100 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt NDjamena, versorgte sie unterernährte Kinder im Rahmen eines Notfallprojektes. „Auf extreme Dürre folgte damals zu viel Regen, die Ernte fiel aus, eine Katastrophe für die Bewohner“, schildert Morscher. Gemeinsam mit zwei anderen Ärzten kämpfte sie um das Leben von Tausenden Kindern. Fünf Monate lang. Viele Menschen wurden vor Ort von mobilen Teams behandelt, besonders schwer erkrankte Kinder kamen ins Krankenhaus nach Massakory. Die Stimmung in dem Spital ist Doris Morscher bis heute in Erinnerung geblieben. „Da lagen 200 Kinder und es war still. Niemand lachte, niemand spielte. Sie starrten den ganzen Tag vor sich hin.“ Während ihres fünfmonatigen Einsatzes behandelte die Allgemeinmedizinerin Krankheiten, die man hierzulande nur noch aus dem Lehrbuch kennt. „Sieht man ein an Tetanus erkranktes Kind, kann man nicht verstehen, warum sich manche Leute überlegen, ob sie sich impfen lassen oder nicht.“ Von März bis Juni 2011 war Morscher als Kinderärztin in dem von Konflikten und unermesslicher Gewalt geprägten Osten der Demokratischen Republik Kongo im Einsatz. „Die Region scheint auf den ersten Blick sehr idyllisch, der Boden ist fruchtbar, alles wächst und gedeiht. Doch für die Menschen ist es oft zu gefährlich, die Felder zu bestellen bzw. zu ernten. Sie verhungern quasi vor dem gedeckten Tisch.“ Als einzige Ärztin war die Schoppernauerin praktisch rund um die Uhr im Einsatz, behandelte Kinder mit Malaria, schwerer Blutarmut oder Lungenentzündungen. Auch einige Knochenbrüche mussten verarztet werden. „Damals war gerade Mango-Saison“, erzählt die Ärztin, „und bei der Ernte der Früchte stürzten die Kinder der Reihe nach von den Bäumen.“ Seit eineinhalb Monaten weilt Doris Morscher – weit weg von Hungersnöten und Bürgerkriegen – im beschaulichen Schweizer Barockstädtchen Solothurn und arbeitet dort als Assistenzärztin für Innere Medizin am Bürgerspital. Ihre berufliche Zukunft sieht die Bergenzerwälderin in der Geriatrie (Altenmedizin) in einem Spital in Österreich, „am liebsten in Vorarlberg“.
Vortrag im Theater am Saumarkt
„Ärzte ohne Grenzen“ feiert heuer das 40-jährige Jubiläum und lädt aus diesem Grund zu zahlreichen Veranstaltungen in ganz Österreich. Heute und morgen macht die Hilfsorganisation in Feldkirch Station. Von ihren Einsätzen in Krisengebieten berichten Mitarbeiter heute ab 19 Uhr im Theater am Saumarkt. Der Dokumentarfilm „Living in Emergency“ ist morgen, Mittwoch, um 19 Uhr im TaS-Kino zu sehen. Der kritische Film zeigt die Schwierigkeiten und Dilemmas, mit denen die Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ konfrontiert sind.
ZUR PERSON
Doris Morscher
Allgemeinmedizinerin
Geboren: 12. November 1980
Ausbildung: Medizinsche Universität Graz, Turnusausbildung in Oberösterreich und der Steiermark, Allgemeinmedizinerin, derzeit Assistenzärztin für Innere Medizin
Familie: in einer Partnerschaft lebend
Hobbys: Musizieren, Klettern
Lieblingspeise: Bratwürste mit Sauerkraut (zu Weihnachten)