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KHM: Destillierte Kunst mit gefälschtem Audio-Guide

Das passiert eben, wenn man sich zeitgenössische Kunst junger Absolventen der Angewandten ins Haus holt: Sie nehmen Stillleben auseinander, fälschen die Audioguides, schnippeln Meyers Konversations-Lexikon neu zusammen und hängen Pseudo-Luster in die hehren Hallen.

Das Kunsthistorische Museum (KHM) hat sich dem Risiko ausgesetzt, “Reibungsfläche für Künstler zu sein”, wie Generaldirektorin Sabine Haag am  Donnerstag bei einem Pressegespräch erklärte. Am Montag (16. 11.) eröffnet die von Brigitte Kowanz kuratierte Schau “Story Behold, Story Be Told” im Rahmen der Vienna Art Week.

Nachdem gestern Abend zum vorerst letzten Mal die Theaterintervention “Ganymed Boarding” in die Gemäldegalerie eingedrungen ist (wegen des großen Erfolges ist eine Wiederaufnahme im Frühjahr geplant), kommen die Alten Meister auch jetzt nicht zur Ruhe: Sieben Projekte von jungen Künstlern “an die ich glaube”, hat Kowanz ausgewählt und sie ortsspezifisch mit den KHM-Gemälden in Beziehung treten lassen. “Es geht darum, Kunst durch die Kunst anzuschauen”, sagte die Professorin. “Wir wagen die Konfrontation”, betonte Angewandten-Direktor Gerald Bast und sieht ein “geglücktes Experiment”.

Wie ernst es manchen mit dem experimentellen Zugang ist, zeigt etwa die Arbeit von Nikolaus Gansterer und Wietske Maas: In “De-Stilling a Still life” zerlegen sie Jan Brueghels des Älteren “Blumenstrauß in einer blauen Vase” ganz hangreiflich in seine Einzelteile. Gemeinsam mit Biologen haben sie die abgebildeten Pflanzen und Insekten identifiziert, die entsprechenden Samen besorgt und in Kooperation mit dem Wiener Gartenamt, dem botanischen Garten und dem botanischen Garten in Amsterdam angepflanzt. Im Frühjahr soll der Strauß fertig sein, in einer Performance zusammengesteckt und sodann durch einen Destillationsapparat gejagt werden: Am Ende gibt es zum Gemälde ein Fläschchen mit der passenden Geruchsessenz.

Nicht nur bei der Nase, auch bei den Ohren, greifen die Jung-Künstler in die Wahrnehmung der Museumsbesucher ein. Lisa Truttmann und Leo Moringer (zusammen Lllevine) haben sich mehr oder weniger heimlich über die Audio-Guides hergemacht und diverse zusätzliche Tracks daraufsprechen lassen. Bildinterpretationen von Kindern zum Beispiel, die von der gewohnten KHM-Sprecherin vorgetragen werden. Dann wieder geistert ein Flüstern durch den Raum – denn auch die Lautsprecherdurchsagen hat das Künstlerduo manipuliert.

In der Eingangshalle rotiert ein Metall-Lichtgestänge als Illusion eines Lusters (Max Frey), kleinteiliges Schauen erfordern Constantin Lusers “Converstionscollagen” im Seitengang der Gemäldegalerie: Aus Meyers Konversations-Lexikon und seiner umstrittenen 8. Auflage (zwischen 1936 und 1942 entstanden) hat Luser die Illustrationen aus ihrem ursprünglichen Kontext geschnitten und neu zusammengesetzt. Und unter den zahllosen Anspielungen, die aus ihnen zu lesen sind, drängt sich auch jene auf, dass auch das KHM mit seinem Bilderreichtum sich mit seiner Nazi-Vergangenheit nach wie vor auseinanderzusetzen hat. Seine Auseinandersetzung mit der Gegenwart und der zeitgenössischen Kunst, die unter Sabine Haag in den vergangenen zwei Jahren bereits in mehreren Projekten intensiviert wurde, steht den ehrwürdigen Hallen jedenfalls bestens.

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