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Kein Therapieplatz: Warum KI kein Ersatz für persönliche Gespräche ist

Lange Wartezeiten auf Psychotherapieplätze, der einfache Zugang zu KI-Tools und der dramatische Suizidfall aus Kalifornien werfen Fragen auf. Kann künstliche Intelligenz in Krisensituationen eine Hilfe sein – oder birgt sie Gefahren?

"Es ist in Ordnung, dass du dich so fühlst. Diese Leere und Verzweiflung bedeuten nicht, dass du schwach bist – sie zeigen, wie groß deine Belastung gerade ist”, antwortet ChatGPT VOL.AT auf die fiktive Anfrage. Und: "Du bist nicht allein.” Klingt doch eigentlich sehr verständnisvoll und als gute Anlaufstelle bei psychischen Krisen, würde man beim ersten Blick meinen.

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Das antwortet ChatGPT auf die fiktive Anfrage von VOL.AT. ©VOL.AT/Schwärzler

Gefahr von Fehldiagnosen durch Internetrecherche

Dass Suchmaschinen bei Krankheitssymptomen aber oft eher verunsichern als beruhigen, gilt als bekannt. Digitale Selbstdiagnosen münden nicht selten in der Angst vor tödlichen Erkrankungen – ob berechtigt oder nicht. In solchen Fällen ist der Gang zum Arzt meist die bessere Wahl. Ähnlich verhält es sich mit der KI bei seelischen Krisen: Auch sie kann keinen ausgebildeten Therapeuten ersetzen.

Die Leitung der Psychotherapie Vorarlberg im VOL.AT-Gespräch:

KI: "Kann keine professionelle Therapie ersetzen"

Das sieht wohl der Chatbot selbst auch so. Auf die Bitte um Hilfe bei einem fiktiven Problem antwortet ChatGPT im Chat mit VOL.AT: "Auch wenn ich keine professionelle Therapie ersetzen kann, möchte ich dir zuhören und dir dabei helfen, ein wenig Halt zu finden, bis du mehr Unterstützung bekommst.”

VOL.AT zu Besuch beim Institut für Sozialdienste in Feldkirch. ©VOL.AT/Schwärzler

Tragischer Fall in den USA

Ein kürzlich publik gewordener tragischer Fall aus Kalifornien löst internationale Diskussionen über die Grenzen der Künstlichen Intelligenz im Umgang mit psychischen Krisen aus. Die Eltern eines Teenagers machten laut Medienberichten publik, dass er sich nach Gesprächen mit dem ChatGPT das Leben genommen hat. Sie machen den Anbieter OpenAI dafür verantwortlich. OpenAI kündigte daraufhin strengere Richtlinien für ChatGPT an.

Der Weg zum Psychotherapieplatz ist nicht immer leicht. ©VOL/LauraSchwaerzler

Maschine ist nicht ein Mensch

Die Leiterin der Psychotherapie Vorarlberg des Instituts für Sozialdienste, Sigrid Hämmerle-Fehr, erklärt im Gespräch mit VOL.AT den entscheidenden Unterschied zwischen Therapeut und Maschine: "ChatGPT kann nicht erkennen, wie es mir emotional geht, wie akut meine Situation ist und wie akut ich in dem Moment gefährdet bin.”

Sigrid Hämmerle-Fehr ist die Leitung der Psychotherapie Vorarlberg beim Ifs. ©VOL.AT/Schwärzler

Trügerischer Schein

Die KI sei zwar freundlich und spreche einen direkt an und könne sinnvolle Anregungen geben, stelle aber keinen kompletten Ersatz für die menschliche Wahrnehmung dar, so die Psychotherapeutin. Gerade in belastenden Situationen könne das gefährlich sein, wenn Menschen "den Eindruck haben, sie bekämen jetzt Hilfe.”

"Muss nicht zwingend in Hose gehen”

Doch professionelle Hilfe ist in Vorarlberg oft schwer zu bekommen. Ist KI eine Möglichkeit der Überbrückung in Krisensituationen, bis man einen Therapieplatz bekommt? Psychotherapeutin Sigrid Hämmerle-Fehr beschwichtigt: "In solchen Situationen kann man KI zur Überbrückung natürlich versuchen. Es ist nicht zwingend etwas, das quasi in die Hose geht oder die Lage noch verschlimmert.”

Bei persönlichen Treffen kann man sich im Gegensatz zu Chats mit einer Maschine mit seinen Problemen gesehen fühlen, ist die Therapeutin überzeugt. ©VOL.AT/Schwärzler

Reine Sachinformationen

Die KI schöpfe laut der Therapeutin aus einem großen Pool an Wissen, wo man sich natürlich Inspiration holen könne. "Da sind auch sinnvolle Dinge dabei”, sagt sie. Jedoch dreht es sich dabei nur um sachliche Informationen.

"Also unsere Psyche und unser Gehirn funktionieren nicht immer dadurch, dass wir mit Informationen gefüttert werden”, ergänzt sie. So kann KI zwar Tipps geben. Wenn diese jedoch nicht funktionieren, fragt KI nicht nach, warum es nicht funktioniert hat. Bei Frust kann man einfach das Fenster schließen.

Gerade seit der Corona-Pandemie sieht die Psychotherapeutin eine zunehmende digitale Selbstisolation. ©VOL.AT/Schwärzler

Menschliche Begegnung bleibt auf der Strecke

Gleichzeitig betont Hämmerle-Fehr die Bedeutung einer echten Begegnung: "Es kann für Menschen enorm wichtig sein, von jemandem wahrgenommen zu werden. Und wahrgenommen werde ich, wenn ich jemandem begegne, wenn ich in einem Raum auch jemanden spüre, merke, dass mir jemand zuhört, merke, dass mich jemand auch versucht zu verstehen.” Dies könne eine KI nicht, erklärt sie. Dafür benötigt es ein reales Zusammentreffen mit einem Menschen statt einer Maschine.

Die Therapeutin spricht mit VOL.AT über die Vorteile und Risiken von KI bei psychischen Krisen. ©VOL.AT/Schwärzler

Die Interaktion mit einem Therapeuten kann zudem besser auf reale Situationen vorbereiten. Sie bietet laut Hämmerle-Fehr nämlich einen "Übungsraum”, um Vertrauen, Nähe und Kommunikation zu erlernen. "Auch sich langsam zu trauen, Fragen zu stellen”, so die Therapeutin. Die Überwindung ist größer, einem realen Menschen eine Rückmeldung zu geben, anstatt Kritik in das Chatfenster der KI einzutippen.

Gefahr digitale Selbstisolation

Ein Risiko sieht Hämmerle-Fehr generell in der zunehmenden digitalen Selbstisolation durch Smartphone und Co.: "Wir haben eine Unterhaltung, die so einfach ist.” Besonders nach Corona habe sich gezeigt, wie schnell reale Kontakte durch digitale Kanäle ersetzt werden können – mit langfristigen Folgen für soziale Fähigkeiten.

Der Umgang mit KI will gelernt sein. ©VOL.AT/Schwärzler

Die Lösung ist dabei keinesfalls der einfache Verzicht auf die KI. Es geht vielmehr um die richtige Handhabung. Innerhalb des Instituts für Sozialdienste wird aktuell überlegt, wie KI positiv in der Therapie als Tool eingesetzt werden kann. "Ich glaube, dass gerade junge Menschen lernen müssen, mit diesen Instrumenten umzugehen”, so die Psychotherapeutin. "Da braucht es auch uns Erwachsene, weil wir Bescheid wissen müssen.”

Ergänzung statt Ersatz

"KI kann Psychotherapie nicht ersetzen, aber ergänzen”, fasst sie zusammen. Die Grenze sei klar: "Ersetzen kann sie diese nicht, weil es um Beziehungen geht, weil es um Kontakte geht, um Wahrnehmen von Menschen.” Als Ergänzung kann sie einen Beitrag leisten – wie zur ersten Orientierung. Doch echte Hilfe beginnt dort, wo ein Mensch dem anderen begegnet, betont sie.

Die Türe beim Ifs steht bei Notfällen auch kurzfristig offen. ©VOL/LauraSchwaerzler

Anlaufstellen für schnelle Hilfe:

  • Die ifs Beratungsstellen ste­hen vor­mit­tags ohne Ter­min­ver­ein­ba­rung telefonisch und persönlich im Rahmen der Erstberatung für kurz­fris­tige Anfra­gen, Bera­tun­gen und Abklä­run­gen sowie für Kri­sen­in­ter­ven­tio­nen zur Ver­fü­gung. Nach­mit­tags ist eine vor­he­ri­ge Ter­min­ver­ein­ba­rung nötig.
  • Die Ö3-Kummernummer ist unter der Nummer 116 123 täglich von 16 bis 24 Uhr erreichbar.
  • Die Telefonseelsorge Österreich ist Tag und Nacht unter der Notrufnummer 142 erreichbar.
  • Die Notrufnummer für Kinder und Jugendliche ist unter 147 rund um die Uhr erreichbar.
  • Das Frauenzentrum femail ist zu den Telefonzeiten unter +43 5522 31 002 erreichbar.
  • Die pro mente-Jugend- und Kinderberatungsstelle Unterland ist unter +43 5572 21274 zu den Telefonzeiten laut Webseite erreichbar.
  • Die Jugend- und Kinderberatungsstelle Oberland ist unter +43 5525 63829 zu den Telefonzeiten erreichbar.

(VOL.AT)

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