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Kanzler Kickl

©APA/HELMUT FOHRINGER
Gastkommentar von Johannes Huber..Auch in der österreichischen Politik ist so viel in Bewegung gekommen, dass man gar nichts mehr ausschließen sollte.

Zu Beginn des Wahlkampfes spielen Sozialdemokraten in der Kanzlerfrage exakt gar keine Rolle. Die Rede ist von Deutschland, wo es derzeit ein schwarz-grünes Duell um die Angela-Merkel-Nachfolge gibt; ausgetragen zwischen Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne). In Frankreich könnte die rechtsextreme Marine Le Pen im kommenden Jahr zur Staatspräsidentin gewählt werden; in Umfragen liegt sie vorne. In Italien befinden sich die rechtsextremen „Fratelli d’Italia“ seit ein, zwei Jahren auf dem Durchmarsch zur stärksten Partei; viel fehlt ihnen nicht mehr, gewählt wird spätestens 2023.

Was kommt, ist offen. Allein schon die Lage in den drei Ländern zeigt jedoch, wie viel in Bewegung geraten ist. Schier Unvorstellbares ist möglich geworden, kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Österreich bildet keine Ausnahme. Es wird nur weniger wahrgenommen. Aus der alten ÖVP ist unter Sebastian Kurz eine rechtspopulistische Partei geworden. Das ist ihr Erfolgsgeheimnis. Anders wäre sie nie (klar) auf Platz eins gekommen. Im Moment strapaziert sie sogar den Verfassungsbogen: Nach den Maßstäben, die „ihr“ Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol einst angelegt hat, könnte man sogar sagen, sie haben ihn da und dort verlassen. Beispiele: Finanzminister Gernot Blümel ignorierte eine Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes, dem Ibiza-U-Ausschuss Unterlagen zu liefern, bis zur Androhung, diese durch den Bundespräsidenten abholen zu lassen. U-Ausschuss-Fraktionschef Andreas Hanger attackierte wiederum persönlich einen Oberstaatsanwalt, der seinen Pflichten zum Leidwesen von ÖVP-Funktionären nachkommt. Das sind Aktionen, die mit einem demokratischen Rechtsstaat unverträglich sind, in dem (andere) Gewalten nicht nur akzeptiert, sondern auch mit Respekt behandelt werden.

Und jetzt kommt möglicherweise eine Neuaufstellung der FPÖ unter Herbert Kickl. Man macht es sich zu einfach, wenn man davon ausgeht, dass sich die Freiheitlichen unter seiner Führung in der Opposition einzementieren würden. Erstens: Aufgrund der laufenden Ermittlungen wegen einer möglichen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss kann kein Mensch sagen, ob Sebastian Kurz in einem Jahr noch Kanzler und ÖVP-Chef ist. Mehr als 80 Prozent der Österreicher fordern, dass er im Falle einer Verurteilung zurücktreten müsste. Eine Volkspartei ohne Kurz ist jedoch ein Zustand. Dort ist niemand, der so erfolgreich sein könnte wie er (zumal er auf seine Weise schlicht eine Ausnahmeerscheinung ist). Zweitens: Davon würde automatisch die FPÖ profitieren. Sie würde zumindest sehr viele der rund 250.000 Wähler zurückgewinnen, die sie bei der letzten Nationalratswahl an die Türkisen verloren hat.

Drittens: Kickl ist ein hetzerischer Politiker in dem Sinne, dass er es schafft, Enttäuschte und Zu-kurz-Gekommene zu emotionalisieren. Insofern sollte sein Potenzial nicht unterschätzt werden: Die Coronakrise wird noch lange dauern, auf dem Arbeitsmarkt wird voraussichtlich erst 2025 das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein. An Frustrierten, die ansprechbar sind, wird es nicht mangeln.

„Aber wer soll mit Freiheitlichen unter Kickl zusammenarbeiten?“, lautet eine rhetorische Gegenfrage, die wie ein Argument daherkommt, gegen das gar nichts mehr gewachsen ist. Allein: Wer weiß heute, wie die nächsten Wahlen ausgehen, wer in weiterer Folge in welcher Partei das Sagen hat und so weiter und so fort?

Man darf zum Beispiel nie vergessen, dass Kickl schon immer so war, wie er als Innenminister 2018/2019 agierte, bis die ÖVP plötzlich feststellte, dass er untragbar sei: Der Mann war schon als Redenschreiber von Jörg Haider und später Heinz-Christian Strache einer breiteren Öffentlichkeit einschlägig bekannt; er lieferte die skandalösesten Slogans und Zitate. Soll heißen: Distanzierungen sollten gerade auch bei der ÖVP mit Vorsicht genossen werden. Sie sind eher willkürlich und könnten daher jederzeit wieder zurückgenommen werden.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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