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Kammermusik zwischen Nordlicht und Wahnsinn: die sieben Seestudio-Konzerte der Bregenzer Festspiele 2025

Die Konzerte im Seestudio des Festspielhauses und im Kunsthaus Bregenz entfalten ein Panorama verschiedener Ausdrucksformen, das aktuelle Fragen aufgreift.

In ihrer diesjährigen Kammermusikreihe widmen sich die Bregenzer Festspiele einer musikalischen Welt voller Gegensätze. Sie reicht vom lichten Glanz höfischer Vernunft bis zum finsteren Strudel königlichen Wahnsinns, von der archaischen Klangsprache der nordischen Folklore bis zur künstlerischen Stimme vergessener Komponistinnen. In sieben sorgfältig kuratierten Konzerten im Seestudio des Festspielhauses und im Kunsthaus Bregenz entfaltet sich ein Panorama an Ausdrucksformen, das nicht nur stilistisch weit reicht, sondern auch mutig aktuelle Fragen nach Identität, Erinnerung und Gleichgewicht berührt.

Verquere Klangbilder

Den Auftakt am 19. Juli bildet ein Musiktheater-abend von seltener Wucht: Peter Maxwell Davies’ legendäres Monodrama „Eight Songs for a Mad King“ zeigt den britischen König George III. auf dem Höhepunkt seines Wahnsinns. Die Musik zerreißt, zerfällt, steigert sich zu irrwitzigen Koloraturen und verqueren Klangbildern. Als Spiegel dazu erklingt die Uraufführung von „Farmer George“ des finnischen Komponisten Osmo Tapio Räihälä, die gemeinsam mit dem Bariton Thomas Florio entstand. Das neue Werk erinnert an die lichten Jahre Georges als volksnaher, naturverbundener Monarch und verleiht dem Porträt eine bewegende Tiefe, die den Menschen hinter der historischen Figur sichtbar macht. Der Abend ist nicht nur musikalisch, sondern auch psychologisch ein Ereignis und setzt den Ton für eine Reihe, in der innere Zustände und äußere Klänge aufs Engste verwoben sind.

Am 26. Juli laden die acht Hornisten der Wiener Symphoniker zu einem ganz persönlichen Porträtabend. Unter dem Titel „Waidmannsheil” präsentieren sie ein Programm, das die Naturverbundenheit und Romantik des Hornklangs in den Vordergrund rückt. Mit Werken von Bruckner, Humperdinck, Mendelssohn, Orlando di Lasso und natürlich Carl Maria von Weber entsteht ein musikalisches Jagdbild, das das Publikum gleichermaßen in idyllische wie dramatische Klanglandschaften führt. Gespielt wird auf dem charakteristisch weich klingenden Wiener Horn – einem Instrument, das in den Händen dieser Musikerinnen und Musiker zum poetischen Erzähler wird.

Johann und Josef Schrammel

Das dritte Konzert am 2. August widmet sich dem musikalischen Wien um 1900 – einer Stadt der Kaffeehäuser, Märsche, Polkas und Walzer, aber auch der Melancholie und des feinen musikalischen Witzes. Das Symphonische Schrammelquintett Wien lässt mit Violine, Klarinette, Kontragitarre und Knopfharmonika die Tradition der legendären Schrammel-Brüder wieder aufleben. Unter dem Motto „Sehn’s, des is’ weanarisch“ erklingen Ländler und Tänze von Johann und Josef Schrammel, Lanner und den beiden Johann Strauß. Die Musikerinnen und Musiker greifen die Wiener Seele auf – bittersüß, charmant, aber nie sentimental – und lassen sie in die Gegenwart schwingen.

Am 3. August folgt ein Liederabend von atemberaubender atmosphärischer Dichte. Die norwegische Sopranistin Hedvig Haugerud gehört zu den aufstrebenden Stimmen des Nordens. Gemeinsam mit dem Pianisten Mats Knutsson interpretiert sie Lieder von Edvard Grieg, Jean Sibelius, Gösta Nyström und weitere Werke aus dem skandinavischen Raum. Der Titel „Im Sturm der Sehnsucht“ ist Programm: Diese Musik, die sich aus rauen Küsten, stillen Fjorden und innerer Dringlichkeit speist, bringt nicht nur das Nordlicht zum Leuchten, sondern auch die tiefen emotionalen Ströme, die unter der Oberfläche liegen.

Folklore und Jazz

Im Kunsthaus Bregenz schlägt das Festival am 5. August ein besonders innovatives Kapitel auf: Die Kantele-Spielerin und Sängerin Ida Elina sowie der Jazzsaxophonist Jukka Perko lassen in „Nordic Cool“ die Grenzen zwischen Folklore, Jazz und elektronisch inspiriertem Sounddesign verschwimmen. Die Kantele, jenes mythisch aufgeladene Instrument aus dem Kalevala-Epos, verschmilzt mit dem Saxophon zu einer Klangwelt, die zugleich hypnotisch, modern und tief in archaischer Tradition verwurzelt ist. Es entsteht eine Musik jenseits des Gewöhnlichen – zwischen Improvisation und Ritual, Innovation und Erinnerung.

Am 9. August rücken die Wiener Symphoniker wieder in den Mittelpunkt – diesmal als Streichquartett. Unter dem Titel „Frühe Geniestreiche“ werden zwei der schönsten Jugendwerke der Quartettliteratur erklingen: Mendelssohns a-Moll-Quartett op. 13, ein Werk voller jugendlichem Sturm und musikalischer Raffinesse, sowie Ravels Quartett in F-Dur, das klassische Form mit impressionistischen Farben durchdringt. Beide Kompositionen sind gleichermaßen Referenz wie Aufbruch – Spiegelbilder zweier Künstler, die schon früh ihren Weg kannten. Das Glière Quartett mit Wladislaw Winokurow, Dominika Falger, Martin Edelmann und Endre F. Stankowsky interpretiert die Werke mit Präzision und jugendlicher Energie.

„All about Eve“

Den Abschluss dieser außergewöhnlichen Kammermusikreihe bildet am 10. August ein Programm, das sich ganz den Komponistinnen widmet – von der Romantik bis in die Gegenwart. „All About Eve“ ist das Projekt der Violinistin Sophie Heinrich und der Pianistin Maria Radutu. In diesem Programm erklingen Werke von Amy Beach, Lili Boulanger, Nadia Boulanger, Florence Price, Lera Auerbach, Sofia Gubaidulina, Dora Pejačević und Nkeiru Okoye. Diese Musik erzählt Geschichten, die oft überhört wurden – kraftvoll, mutig, verspielt oder mystisch. Die Künstlerinnen holen diese Werke mit erzählerischer Sensibilität und technischer Meisterschaft ins Zentrum des Konzertsaals. Dabei geht es nicht um ein bloßes „Gegenstück“ zur männlich dominierten Musikgeschichte, sondern um ein eigenes, reichhaltiges, komplexes und inspirierendes künstlerisches Universum.

Die Kammermusikreihe der Bregenzer Festspiele 2025 ist mehr als eine Aneinanderreihung musikalischer Darbietungen. Sie ist ein vielstimmiger Essay über das Menschliche im Klang. Vom königlichen Zerfall bis zur weiblichen Selbstermächtigung, von nordischer Archaik bis zum Wiener Schmäh, vom klassischen Streichquartett bis zur elektrifizierten Kantele – hier wird Musik zur Bühne des Lebens. In ihrer Vielfalt zeugen diese sieben Konzerte von der visionären Kraft des Formats: intim und experimentell, verwurzelt und zukunftsgewandt zugleich. Wer das Seestudio oder das Kunsthaus betritt, erlebt nicht nur Konzerte, sondern auch Reisen ins Innere der Musik selbst.

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