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Justizskandal: Vermeintlicher Dealer saß in Wahrheit im Gefängnis

Ein 39-jähriger Mann wurde am 8. Juli unter dem Vorwurf in U-Haft genommen, im Sommer 2007 im Wiener Stadtpark einem 16-Jährigen mehrmals wöchentlich Cannabis zum Weiterverkauf überlassen zu haben.

Sieben Wochen saß der gebürtige Araber im Gefängnis – völlig zu Unrecht, wie sich heute, Dienstag, in seinem Prozess im Straflandesgericht herausstellte. Der Mann befand sich nämlich seit 13. Februar 2006 bis zum 23. November 2007 durchgehend im Gefängnis und hat dieses in diesem Zeitraum nachgewiesenermaßen kein einziges Mal verlassen.

“Er kann also auch rein theoretisch keine Drogen weitergegeben haben. Um es zynisch zu sagen, er hat das perfekte Alibi”, stellte Verteidiger Norbert Wess fest, der sich mit Kritik an der Staatsanwaltschaft Wien erstaunlich zurückhielt.

Der Anklagebehörde hätte nämlich auffallen müssen, dass das, was sie dem 39-Jährigen zum Vorwurf machte, einer auch nur oberflächlichen Überprüfung nicht standhalten konnte: Auf Seite 1 ihrer Anklageschrift war der angebliche Tatzeitraum angegeben, auf Seite 3 waren detailliert die Haftzeiten des wegen Einbruchsdiebstahls und eines Drogendelikts vorbestraften Mannes korrekt wiedergegeben.

Dass sich diese Zeiträume deckten, fiel weder dem mit dem Fall betrauten Sachbearbeiter noch jener an sich erfahrenen Staatsanwältin auf, die als Gruppenleiterin die Anklage genehmigt hatte. Dabei hatte der Angeklagte nach seiner Festnahme noch wiederholt darauf hingewiesen, dass er im Gefängnis gesessen sei und daher nichts angestellt haben könne. Offenbar schenkte man ihm kein Gehör.

Für den Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Werner Pleischl,ein untragbarer Vorgang, wie er im Gespräch mit der APA deutlich machte. “Es darf nicht sein, dass wir in dieser Konstellation jemanden in Haft nehmen! Da liegt menschliches Versagen vor.” Pleischl kündigte Konsequenzen für die beiden betroffenen Anklagevertreter an: “Ich gehe dem nach! Das hat in jedem Fall Konsequenzen und wird im Wege eines Dienstaufsichtsverfahrens untersucht.”

Selbst strafrechtliche Folgen wollte der OStA-Chef nicht ausschließen: “Es ist auch möglich, gegen Staatsanwälte ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Freiheitsbeschränkung einzuleiten.”

Zugleich verwies Pleischl jedoch auf die “strukturelle Überlastung” bei den Anklagebehörden, die notgedrungen Fehleranfälligkeit mit sich bringe: “Wir sind personell unterbesetzt. Bei der Staatsanwaltschaft Wien sind zwei Drittel junge Kollegen. Alles ausgezeichnete, hervorragende Leute, die sich aber gleichzeitig in den Beruf einarbeiten und die Reform der Strafprozessordnung umsetzen müssen. Zeigen Sie mir eine Firma, die eine gleichzeitige Expansion und Umstrukturierung fehlerlos durchsteht!”

Der mutmaßliche Dealer wurde nach einer Beratungszeit von geschätzten 30 Sekunden rechtskräftig freigesprochen und noch am heutigen Tag auf freien Fuß gesetzt. Sein Anwalt wird nun eine Haftentschädigung einklagen.

Der 16-Jährige, der den 39-Jährigen der regelmäßigen Übergabe von Cannabis beschuldigt hatte, hatte diesen auf einem Lichtbild wieder erkannt, das ihm die Polizei im Zuge des Ermittlungsverfahrens vorgelegt hatte. Von einer persönlichen Gegenüberstellung oder einer Wahlkonfrontation wurde Abstand genommen.

In der Verhandlung gab sich der Bursch auch im Zeugenstand zunächst noch überzeugt, der Angeklagte sei im Vorjahr seine Cannabis-Bezugsquelle gewesen. Als Richter Friedrich Zeilinger dessen längeren Gefängnisaufenthalt erwähnte, relativierte der Jugendliche seine Angaben umgehend: “Ich weiß nicht, ob er der Gleiche ist. Ich weiß nicht, ob er es war. Er sieht jedenfalls so aus wie er.”

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