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Jugendsprache, Oida

©Maria Lodjn
Auf den Gängen vor den Klassen herrscht reges Treiben. Es ist 10 Uhr Pause. 15 Minuten Zeit um sich mit Freunden und Freundinnen auszutauschen. Schularbeitsergebnisse, Ungerechtigkeiten des Schulalltags und private Erlebnisse werden kommuniziert.

„Hey, Opfa!“ „Ja?“ „Bringst du mir Eistee Bruda?“ Opfer und Bruder, beide Schüler der dritten Klasse. Opfer und Bruder sind weder verwandt noch verfeindet, sondern befreundet. In der Schule kaum voneinander zu trennen, privat ständig zusammen. Trotzdem, die Art und Weise, wie sie miteinander reden, lässt meine Lehrerinnenohren aufhorchen. Ich rufe die beiden zu mir. „Weißt du“, frage ich Mehmet, „was das Wort Opfer bedeutet?“ Schulterzucken, ein verlegenes Lachen folgen. Nachdem er mehr oder wenig ungehalten, schließlich verkürze ich gerade seine Pause um drei Minuten, meinen Erläuterungen gefolgt ist, beruhigt er mich mit den Worten „Jugendsprache, Oida!“

Schauplatzwechsel in das Jahr 1976. „Schade!“, betrübt lasse ich meinen Blick über die Landschaft gleiten, „es schifft draußen!“. Mein Vater, der sein Leben lang Wert auf Ausdruck und Sprache gelegt hat, pfeffert wutentbrannt das Marmeladebrot auf den Teller und schickt mir einen bitterbösen Blick. Der jüngste Bruder, vier Jahre alt, kann sich vor Lachen kaum mehr am Stuhl halten. Ich, jung und mutig, verstehe das als Aufforderung und lege nach. „Schiffen ist wienerisch für pissen. Also..“, eine künstlerische Pause meinerseits folgt. Diese nützt mein Vater, um mich vom Frühstückstisch in die Verbannung zu schicken.

Zwischen diesen beiden Episoden liegen fast vierzig Jahre. Was diese trotz der großen Zeitspanne eint? Zum einen das Alter der Protagonisten, auch ich war damals fast 14 Jahre alt. Zum anderen der Umgang mit der Sprache im Allgemeinen. Sprache, ein facettenreiches Instrument. Sie kann provozieren, aufrütteln, beleidigen, Trost spenden und Identität stiften. Jugendliche, die sich in der Pubertät befinden, sind sich dieser Tatsache durchaus bewusst. So wusste ich, dass ich meinen Vater mit unterschiedlichen Fäkalausdrücken auf die Palme bringen konnte. Genauso verhält es sich bei Teenagern im Jahr 2015.

„Einmal ficken, weiterschicken“, erklärt mir ein Junge der vierten Klasse mit einem diabolischen Grinsen. Unaufgefordert erzählt er in weiterer Folge, dass er der Urficker wäre. Zwischen beiden Sätzen blickt er mich erwartungsvoll an. Im Geiste zählt er vermutlich die Minuten bis ich explodiere. Ich aber schaue mir sein Gesicht an, entdecke seine kindlichen Züge und sage gar nichts. Der Urficker hat jetzt ein Problem, ein ernsthaftes. Ich bin ihm nicht auf dem Leim gegangen.

Die Sprache der Jugend ist einem Wandel unterworfen. Wörter, die zu meiner Zeit Aufsehen und Entrüsten bewirkten, wie Arsch oder Scheiße sind nahezu fix in unserem Sprachgebrauch verankert, regen nicht mehr auf. „So ein Schaß“, ist eine Redewendung, die selbst kultivierten Menschen dann und wann entgleitet.

Jugendsprache 2015 lebt von Begriffen wie, Opfa, Ficka und Oida. Es mag auf manche so wirken, als wäre die Jugend außer Rand und Band.

Mit 12 Jahren thematisieren sie ihre Sexualität, offen und ungehemmt. Sieht man von einigen Ausnahmen ab, die es schon immer gegeben hat, bleibt es bei dem Akt des Erzählens und des damit verbundenen Provozierens. Welchen Grund hätte sonst der öffentliche Austausch in der Straßenbahn zu diesem Thema? Denn, spricht man diese Jugendlichen ernsthaft wegen ihrer Sexparolen an, dann werden sie rot und winden sich. Die scheinbar freizügige Haltung findet ein jähes Ende.

Der raue Ton, die rüde Sprache ist derzeit wohl auch das letzte verbleibende Provokationsmittel der Halbwüchsigen. Erwachsene haben Tatoos, Piercings, kleiden und frisieren sich im ähnlichen Stil. Meine Chucks zum Beispiel finden die Kids irre cool. Selbst Musik bringt Mama und Papa nicht einmal mit einem Maximum an Dezibel heutzutage noch auf die Palme. Ihre Generation haben die Stones und härtere Rockbands nachhaltig desensibilisiert. So bleibt halt nur mehr die Sprache, Oida!

Text: Maria Lodjn ist Lehrerin an einer NMS in Wien, sie bloggt ihre private Meinung auf der unabhängigen Meinungsplattform fischundfleisch.com. vienna online ist Kooperationspartner.

fischundfleisch ist eine Meinungsplattform, die Stars, Tipps und Jobs bietet. Vienna Online ist Kooperationspartner und unterstützt damit junge und alte Talente.

(Die Texte werden von Fisch und Fleisch zur Verfügung gestellt)

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