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Jerusalem: Abbas sagt Wahlkampfauftritt ab

Der palästinensische Präsidentschaftskandidat und PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas hat am Freitag einen Wahlkampfauftritt in Jerusalem absagen lassen.

Wie aus seinem Wahlkampfteam verlautete, war zum Schutz des PLO-Chefs vor jüdischen Extremisten ein massives israelisches Sicherheitsaufgebot vorgesehen, was Abbas als schädlich für sein Image in den eigenen Reihen betrachte. Anstelle der Jerusalemer arabischen Altstadt wird Abbas nun den palästinensischen Ort Beir Naballah am Stadtrand besuchen.

Der Oberste Gerichtshof Israels bestätigte unterdessen, dass die rund 7000 in Israel inhaftierten Palästinenser von der Teilnahme an der Präsidentenwahl am Sonntag ausgeschlossen sind. Das Höchstgericht wies einen palästinensischen Antrag auf Zulassung der Häftlinge zur Wahl ab, wie am Donnerstagabend aus Justizkreisen in Jerusalem verlautete. Die Palästinenser hatten geltend gemacht, dass weder die israelischen noch die palästinensischen Gesetze Gefangenen die Teilnahme an Wahlen verweigere. Israelische Häftlinge dürfen in Israel wählen.

Israel hat den Palästinensern in Ost-Jerusalem für die Präsidentschaftswahl die gleichen Einschränkungen auferlegt wie 1996. Wahlkampfveranstaltungen dürfen nur in privaten Räumlichkeiten stattfinden, für die Wähler stehen fünf Wahllokale zur Verfügung. Der verstorbene Präsident Yasser Arafat hatte nie nach Ost-Jerusalem reisen dürfen. Abbas gilt als Favorit bei der Wahl im Westjordanland (mit Ost-Jerusalem) und Gaza-Streifen . Die Vereinten Nationen hatten die Annexion des im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzten arabischen Ostteils von Jerusalem durch Israel für illegal erklärt. Israel hatte ganz Jerusalem zu seiner „ewigen und unteilbaren“ proklamiert.

Der Pragmatiker Abbas tritt aus dem Schatten Arafats

Jahrelang hat sich Mahmud Abbas (Abu Mazen) an der Seite Yasser Arafats für einen Palästinenser-Staat eingesetzt. Jetzt tritt er aus dem Schatten der übermächtigen Ikone des palästinensischen Befreiungskampfes. Seine Wahl zum Präsidenten am Sonntag gilt Umfragen zufolge als so gut wie sicher und die Zeichen stehen auf einen neuen Anlauf, Frieden zu schaffen. Dafür braucht Abbas aber ein starkes Mandat.

Umfragen zufolge sind rund 60 Prozent der Palästinenser für den 69-Jährigen, der bereits als Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) dem im November verstorbenen Arafat nachgefolgt ist. Dabei pflegt Abbas in Geschäftsanzug und Krawatte einen viel pragmatischeren Stil als der ewige Kämpfer Arafat, den man selten ohne Uniform oder traditionelle palästinensische Kopfbedeckung sah. Der neue PLO-Chef fordert inzwischen sogar ein Ende des bewaffneten Aufstandes gegen die israelischen Besatzer und ist zu sofortigen Friedensgesprächen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon bereit – einem Mann, dem die Mehrheit der Palästinenser zutiefst misstraut.

Abbas hat 1993 den Friedensschluss mit Israel in den Geheimgesprächen im norwegischen Oslo mit ausgehandelt. Zehn Jahre später überwarf er sich mit Arafat, als dieser sich nicht auf die von der internationalen Gemeinschaft geforderte Bekämpfung radikaler Kräfte sowie der Korruption und Vetternwirtschaft in den Palästinensergebieten einlassen wollte. Dafür unterstützen ihn die USA und Israel als ihren Wunschkandidaten für die Nachfolge Arafats.

Im Wahlkampf hat Abbas zugleich viel daran gesetzt, auch die Zustimmung der auf Arafat eingeschworenen Palästinenser zu erringen. Er versprach, Arafats Forderungen wie ein Testament zu vollziehen und dessen Traum zu verwirklichen, dass eines Tages „ein palästinensisches Kind unsere Flagge auf den Mauern Jerusalems in den Händen hält.“ Arafat bleibe die Orientierung „für unseren Kampf, die israelische Besatzung von 1967 zu beenden, unseren unabhängigen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt zu gründen sowie das Thema der Flüchtlinge, die Kernfrage unserer Sache, gerecht zu lösen.“ Besonders das Rückkehrrecht der Flüchtlinge ist Abbas ein Anliegen: Seine Familie stammt aus Safed im heutigen Israel und floh aus ihrer Heimatstadt während des israelischen Unabhängigkeitskrieges.

Schließlich beschimpfte Abbas den israelischen Gegner wenige Tage vor der Wahl sogar als zionistischen Feind – eine Wortwahl, die sonst von Radikalen gepachtet ist und selbst von Arafat in den vergangenen Jahren vermieden wurde. „Die Wortwahl mag extrem erscheinen, aber im Prinzip passt sie zu seinen Positionen“, sagt der israelische Politikexperte Yossi Alpher. „Wir sind der zionistische Feind. Er hat uns nie zionistischer Freund genannt. In den grundlegenden Positionen hat er nie eine moderatere Haltung als Arafat eingenommen.“

Auf diesem Weg scheint Abbas nun auch beim palästinensischen Volk angekommen zu sein: Als der wenig charismatische Politiker kürzlich im Gaza-Streifen auftrat, wurde er mit einer Begeisterung empfangen, wie man sie sonst nur von Arafats Auftritten kannte. Die Menschen trugen ihn auf ihren Schultern und drängelten so sehr, dass der PLO-Kandidat die Veranstaltung durch ein Fenster verlassen musste. „Wir geben unser Blut und unser Leben für Dich!“, riefen sie ihm zu – wie ehedem Arafat.

Dahlan fordert eingeschränkte Vollmachten für Abbas

Der palästinensische Ex-Innenminister und ehemalige Sicherheitschef im Gaza-Streifen, Mohammed Dahlan (43), hat gefordert, dass der PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas (Abu Mazen) im allgemein erwarteten Fall seiner Wahl zum neuen palästinensischen Präsidenten nicht die gleichen umfangreichen Machtbefugnisse haben solle wie sein verstorbener Vorgänger Yasser Arafat. In einem Interview der arabischen Zeitung „Asharq al-Awsat“ (Freitag-Ausgabe) sagte Dahlan: „Wenn Abu Mazen gewählt wird, dann müssen alle seinen Entscheidungen Folge leisten, und ich werde der Erste sein, der dies tut. Aber das bedeutet nicht, dass Abu Mazen der Einzige sein wird, der Entscheidungen trifft, wie es während der Ära von Abu Amar (Arafat) üblich war, denn diese Ära ist endgültig zu Ende.“

Wird Abbas am kommenden Sonntag zum Präsidenten gewählt, bekleidet er zwei von Arafats drei Ämtern (Präsidentschaft, PLO-Vorsitz und Vorsitz der stärksten PLO-Fraktion Fatah). Der neue Fatah-Vorsitzende Faruk Kaddumi hat sich unterdessen beim Besuch eines palästinensischen Flüchtlingslagers südlich der syrischen Hauptstadt Damaskus gegen die von Abbas erhobene Forderung nach einer „Entmilitarisierung“ der Intifada ausgesprochen. Auf den bewaffneten Kampf gegen Israel zur Befreiung der palästinensischen Erde dürfe nicht verzichtet werden, unterstrich Kaddumi. Die Palästinenser müssten ihren Widerstand mit Syrern und Libanesen koordinieren, um die gemeinsame Position bei künftigen Nahost-Verhandlungen zu stärken, sagte der Fatah-Chef.

Die palästinensischen Präsidentschaftskandidaten

Um das Amt des palästinensischen Präsidenten bewerben sich kommenden Sonntag sieben Kandidaten. Allgemein wird damit gerechnet, dass der PLO-Vorsitzende Mahmud Abbas (Abu Mazen) bereits im ersten Durchgang mit absoluter, wenn nicht gar mit Zweidrittelmehrheit, zum Nachfolger des im vergangenen November verstorbenen Präsidenten Yasser Arafat gewählt wird.

Die Kandidaten:

– Mahmud Abbas (69), genannt Abu Mazen, Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), ehemaliger Premierminister, Kandidat der Fatah, der stärksten PLO-Fraktion

– Mustafa Barghuti (51), Generalsekretär der NGO „Palästinensische Initiative“, unabhängiger Kandidat

– Tayssir Khaled (63), Mitglied des PLO-Exekutivkomitees, Kandidat der marxistisch orientierten „Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas“ (DFLP)

– Bassam al-Salhi (44), Kandidat der „Partei des Volkes“ (KP), ehemaliger Studentenführer der Universität Bir Zeit

– Sayed Barakah (48), unabhängiger islamistisch ausgerichteter Kandidat (er hatte sich von der radikalen Organisation „Islamischer Heiliger Krieg“ getrennt, bevor er Generaldirektor des palästinensischen Jugend- und Sportministeriums wurde)

– Abdelkarim Shubeir (45), Unabhängiger, Völkerrechtsexperte und Menschenrechtsaktivist

– Abdelhalim al-Ashqar (46), unabhängiger Islamist (lebt in den USA, wo er wegen Spendensammlungen für die radikale Hamas wiederholt inhaftiert war)

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