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Jagd nach Kinderfotos

So sieht die umstrittene Facebook-Seite aus. Das Kind wurde lediglich von W&W unkenntlich gemacht ©Screenshot Facebook
So sieht die umstrittene Facebook-Seite aus. Das Kind wurde lediglich von W&W unkenntlich gemacht ©Screenshot Facebook ©Pixabay / Screenshot Facebook
Eine Facebook-Seite stiehlt und postet aktuell wieder viele Kinderfotos von Vorarlbergern. W&W sprach mit Eltern und Betreibern.

„Du bist immer noch schön, aber.“ Dieser Titel bedeutet für Vorarlberger Eltern nichts Gutes – jedenfalls nicht für die mit laschen Privats-phäreeinstellungen bei Facebook. Denn die Seite mit dem myster-iösen Titel sammelt und postet fremde Kinderfotos. Öffentlich. Für jeden Internetnutzer überall auf der Welt problemlos zu sehen. Und ohne, dass die Eltern dagegen vorgehen können, denn die Seitenbetreiber verstoßen nicht gegen Facebook-Richtlinien oder Gesetze, wie Facebook auf Beschwerden hin erklärte.

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„Nichts dabei gedacht“

Eine davon ist Selina Morscher. „Ein Foto meiner drei Kinder wurde auf der Seite geteilt. Die Betreiber hatten es einfach von meinem Profil kopiert und auf ihrer Seite hochgeladen“, erzählt die 21-Jährige WANN & WO. „Vor Wut hab ich den Betreibern der Seite sofort geschrieben, dass sie es löschen sollen.“ Die aber antworteten nur stur, dass sie das nicht tun werden, solange Selina die Bilder ihrer Kinder nicht von öffentlich auf privat umstellt. „Zuerst habe ich mich geweigert. Aber als unangebrachte Kommentare unter dem Foto meiner Kinder auftauchten, habe ich eingelenkt.“ Die Betreiber erklärten ihr, was sie einstellen muss. „Kaum waren keine Kinderfotos auf meinem Profil mehr öffentlich, wurde auch das von der Seite gelöscht“, erinnert sie sich. Nicht nur der Post, auch Selinas Wut verschwand: „Im Nachhinein bin ich sogar froh, dass die Betreiber mich auf das Thema aufmerksam gemacht haben. Vorher dachte ich: Was soll schon passieren? Aber der Vorfall hat mir gezeigt, wie leicht Fremde Bilder stehlen und verbreiten können. Ich habe meine Lektion gelernt.“

Scharfe Kritik an Eltern

Dass das noch viel mehr Menschen tun, wünscht sich Jan Fausek. „Kinderfotos haben im Netz nichts verloren“, sagt der 22-Jährige WANN & WO. In der mehr als 200 Kommentare fassenden Diskussion zum Thema auf der Facebook-Seite „Frag Vorarlberg“ kritisierte er mit markigen Worten Eltern, die Kinderfotos hochladen. „Es gibt ein Recht am eigenen Bild, auch für Kinder, das von den Eltern rigoros missachtet wird. Desweiteren frage ich mich, von wem die Kinder Digitalkompetenz lernen sollen, wenn die Eltern sich selbst dagegen verwehren. Datenschutz wird in der heutigen Zeit immer wichtiger und eines Tages sind die Kinder den Eltern um jedes Foto dankbar, das nicht existiert.“ Er würde keine Fotos öffentlich teilen. „Wer seine Kinder nicht als digitale Trophäe ansieht, müsste zum gleichen Schluss kommen.“
Der mysteriöse Name der Seite geht übrigens auf den Song „Du bist schön, aber dafür kannst du nichts“ von Alligatoah zurück, so die Betreiber zu WANN & WO. Darin übt der Rapper Kritik an der oberflächlichen Social-Media-Welt und der Jagd nach Likes – nach den digitalen Trophäen, für die in den Augen der Betreiber und von Jan offenbar auch viele Eltern ihre Kinder halten.

Fragen an „Du bist immer noch schön, aber.“

Was ist euer Ziel hinter der Facebook-Seite?

„Wir verbreiten auf ‚Du bist immer noch schön, aber.‘ fremde Kinderfotos, um diejenigen, die sie online gestellt haben, darauf aufmerksam zu machen, wie schnell Unbekannte genau das tun können. Damit wollen wir sie auch in gewisser Weise warnen und zum Nachdenken anregen. Es war nicht unsere eigene Idee, solche Seiten gibt es auf Facebook schon lange. Wir haben lediglich eine weitere erstellt, um die Thematik noch weiter zu verbreiten.“

Habt ihr das Gefühl, dass sich dadurch tatsächlich etwas auf Social Media verändert?

„Man kann durchaus beobachten, dass es seit einiger Zeit weniger öffentliche Kinderbilder auf Facebook gibt. Um ehrlich zu sein: Keine Ahnung, ob das allein an unserer und ähnlichen Seiten liegt. Tatsächlich bedanken sich aber häufig Mütter bei uns dafür, dass wir sie auf das Risiko aufmerksam gemacht haben und sie so den Anstoß bekommen haben, ihre Privatsphäreeinstellung zu prüfen und anzupassen“.

Habt ihr keine Bedenken, dass Menschen mit pädophilen
Tendenzen eure Seite und die Bilder nutzen könnten?

„Nein, die haben wir nicht. Denn Pädophile haben – leider – ganz andere Netzwerke, die sie nutzen. Unsere Seite benötigen solche Menschen sicher nicht. Trotzdem wird mit unserer Aktion deutlich, wie schnell diese Menschen an Bildmaterial kommen. Und zwar oft, ohne dass die Betroffenen das merken.“

Mein Facebook-Profil, mein Foto? Von wegen!

Die Bilder auf meinem Facebook-Profil gehören mir? Falsch, wie die Nutzungsrichtlinien zeigen: Sobald ein User ein Foto ins Netzwerk hochlädt, tritt er die Rechte daran ab. Noch ärger wird das, wenn die Privatsphäre auf „öffentlich“ gestellt ist. Dann erlaubt er Facebook, das Bild „zu hosten, zu nutzen, zu verbreiten, zu modifizieren, auszuführen, zu kopieren, öffentlich vorzuführen oder anzuzeigen, zu übersetzen und abgeleitete Werke davon zu erstellen“, so die Richtlinien. Auch das Bild zu „stehlen“ und auf einer anderen Seite zu posten, ist somit kein Verstoß.

Anja Förtsch / Wann & Wo

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