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In der Tiefe des Bodensees – Archäologen entdecken 31 unbekannte Wracks

In der Dunkelheit, 80 Meter unter der Wasseroberfläche, taucht aus dem Sonarbild eine Silhouette auf: ein Schiff, seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten vergessen. Es ist einer von 31 sensationellen Wrackfunden, die Archäologen im Bodensee gemacht haben – und jedes erzählt seine eigene Geschichte.

Es ist kalt hier unten, das Licht der Tauchroboter reicht nur wenige Meter weit. Der Seegrund wirkt karg, fast leer – bis plötzlich der Bug eines Dampfers auftaucht. Für die Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege (LAD) ist dieser Moment mehr als ein Fund. Er ist ein Blick in eine andere Zeit.

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Ein Archiv aus Holz und Stahl

Seit 2022 läuft das Projekt „Wracks und Tiefsee“. Mit hochauflösender Bathymetrie, Sidescan-Sonar und ferngesteuerten Robotern spüren die Experten systematisch auf, was jahrzehntelang im Dunkeln lag. „Das Projekt ist ein bislang einzigartiges Vorhaben im Bereich der Unterwasserarchäologie in Binnengewässern“, sagt Landesarchäologe Prof. Dirk Krausse. Ziel sei es, „Wracks in allen Tiefen des Bodensees zu erfassen, zu dokumentieren und denkmalfachlich zu bewerten“.

Schaufelraddampfer, Segler und ein Rätsel aus Holzfässern

Mehr als 250 verdächtige Strukturen haben die Forscher bislang geortet, 186 davon untersucht. Das Ergebnis: 31 echte Wracks.

Bug des ersten Salondampfers am Bodensee - der SD Baden. ©LAD im RPS/WSP Überlingen
Ein Blick in den offen liegenden Rumpf der Baden. ©LAD im RPS/WSP Überlingen
Ein Bild aus besseren Tagen - die SD Baden in 1920er Jahren. ©handout wikipedia

Darunter zwei Metallrümpfe, die wohl zu den legendären Schaufelraddampfern „SD Baden“ und „SD Friedrichshafen II“ gehören. „Die Maße und die Lage sprechen dafür, aber eine endgültige Identifizierung steht noch aus“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Alexandra Ulisch.

Der Bug der Friedrichshafen II taucht im Scheinwerferlicht am Seegrund auf. ©LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel
Der Rumpf der Friedrichshafen II. Die Auf- und Einbauten wurden vor dem Versenken entfernt. ©LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel
Ein Handrad auf dem Wrack der Friedrichshafen II ist eines der wenigen noch vorhandenen Details. ©LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel
Die SD Friedrichshafen II zu ihrer Blüte in den 1920er Jahren. ©Archiv Bodenseeschifffahrt.de

Besonders beeindruckend: ein fast vollständig erhaltenes Lastsegelschiff, tief unten im See, mit Mast und Rah – ein Anblick, der selbst erfahrene Unterwasserarchäologen staunen lässt. „Eine Seltenheit in der Unterwasserarchäologie“, so Ulisch. Das Holz ist kaum von Muscheln bedeckt, Klammern und Zahnräder glänzen im Licht der Kameras.

Das Heck des fast vollständig erhaltenen Lastenseglers am Grund des Bodensees. ©LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel
Das Deck des Lastenseglers ist über die Jahre dick mit Sedimenten bedeckt. ©LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel
Eine Sandsteinplatte - wohl Teil der Ladung des gesunkenen Lastenseglers. Im Vordergrund ist noch der Greifarm des ROV zu erkennen. ©Das Deck des Lastenseglers ist über die Jahre dick mit Sedimenten bedeckt.

Und dann ist da noch ein Fund, der Rätsel aufgibt: ein Trümmerfeld aus mindestens 17 Holzfässern. Die Deckel, Böden und möglichen Fassmarken sind gut erhalten – doch das Schiff, das sie einst trug, bleibt verschwunden.

Verlorene Ladung: Zwei Holzfässer tauchen vor der Kamera auf. ©LAD im RPS/Bodenseetaucher, Alexander Heidacher
Überzogen von Muscheln: ein weiteres noch verschlossenes Holzfass. ©LAD im RPS/Bodenseetaucher, Alexander Heidacher
Eine Sonaraufnahme zeigt die Lage der Holzfässer am Seegrund.

Zeitkapseln vergangener Epochen

Für das Projektteam sind die Wracks mehr als technische Objekte. Sie sind Zeugnisse von Handel, Handwerk und Alltag vergangener Generationen. „Wracks sind echte Zeitkapseln, die Geschichten und handwerkliches Können längst vergangener Tage konservieren“, sagt Ulisch.

Auch andere Gegenstände von havarierten Schiffen - wie dieser Sackkarren wurde entdeckt. ©LAD im RPS/Bodenseetaucher, Alexander Heidacher

Projektleiterin Julia Goldhammer betont, wie wichtig der methodische Ansatz ist: „Nur durch die Kombination hochauflösender Datenerfassung und gezielter Nachuntersuchung lassen sich natürliche Strukturen zuverlässig von technischen Objekten unterscheiden.“

ROV-Liveaufnahmen des Lastsegelschiffs am Bildschirm an Bord der MS Kormoran des ISF der LUBW. ©LAD im RPS, Alexandra Ulisch
Der Unterwasserroboter des ISF der LUBW wird von Bord der MS Kormoran zu Wasser gelassen. ©LAD im RPS, Julia Goldhammer

Bis zum Sommer 2027 wollen die Archäologen ihre Arbeit abschließen. Doch schon jetzt ist klar: Der Bodensee birgt weit mehr Geschichten, als seine ruhige Oberfläche vermuten lässt.

(VOL.AT)

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