"Ich habe irgendwann verstanden, dass meine Schwäche meine größte Stärke werden kann"

Von Langen am Arlberg bis Lindau – und das mit hochgradiger Behinderung: Der 20-jährige Kadir Cem Eksi aus Hohenems geht aktuell auf eine ganz persönliche Lauf-Mission. In Etappen überquert er Vorarlberg zu Fuß. Doch seine eigentliche Reise begann schon viel früher – mit seiner Geburt, die sein Leben für immer veränderte.
Nervenschädigung wegen Fehler der Hebamme

"Ich würde sagen, das, was mich auszeichnet, ist, dass ich eine 70-prozentige Behinderung habe – denn ich habe den Menschen, der ich heute bin, meiner Behinderung zu verdanken." Wer Kadir Cem Eksi zuhört, merkt schnell: Kadir hat sich aus der körperlichen Einschränkung eine mentale Stärke geschmiedet.
Geboren mit einer Nervenschädigung – verursacht durch einen Fehler der Hebamme – war die linke Körperhälfte von Anfang an beeinträchtigt. "Ich habe immer alles mit rechts gemacht", erzählt er. Im Turnunterricht als Kind fühlte er sich oft benachteiligt. Heute ist er der, der sich überwindet – für sich selbst, aber auch als Vorbild für andere.
"Ich habe irgendwann verstanden, dass meine Schwäche meine größte Stärke werden kann"

Schon früh erkannte Kadir: Es gibt zwei Wege – sich selbst bemitleiden oder die Herausforderung annehmen. Er entschied sich für Letzteres. "Ich wollte meine Schwächen so überwinden, dass ich heute Dinge machen kann, die für mich eigentlich unmöglich wären." Ein Mann, ein Wort: Heute stemmt er 180 Kilo im Kreuzheben – mit einer Hand, die er laut Ärzten "eigentlich gar nicht spüren sollte".

Was als schmerzhafte Realität begann, wurde zu einem Kraftpaket aus Disziplin, Ausdauer und Willenskraft. Mit zwölf Jahren war Kadir übergewichtig – so kam er zum Sport: Schwimmen, Wandern, Judo, Klettern, Kraftsport. Und seit über einem Jahr: laufen. "Ich habe irgendwann verstanden, dass meine Schwäche meine größte Stärke werden kann." Er ergänzt: "Viele sagen, dass man mir meine Beeinträchtigung mittlerweile gar nicht mehr ansieht." Und das hat er alleine seiner jahrelangen Disziplin zu verdanken.
"Ich will wissen, wie mein Körper mit mehrtägiger Belastung umgeht"

"Ich fahre oft mit dem Zug durch Vorarlberg. Und dann habe ich mich gefragt: Warum eigentlich nicht mal die ganze Strecke laufen?" Was für die meisten nach einer verrückten Spinnerei klingt, hat der 20-Jährige in die Tat umgesetzt. Gestartet ist der Student am Montag, den 4. August, in Langen am Arlberg. Das Ziel ist Lindau – und dieses will er am Donnerstag, den 7. August, erreichen.
"Ich will wissen, wie mein Körper mit mehrtägiger Belastung umgeht", erklärt er. Dabei ist nicht die Strecke das Härteste, sondern die mentale Herausforderung. "Nach dem ersten Tag dachte ich: 'Ich pack das nie.' Aber es wurde von Tag zu Tag besser – heute fühlt es sich an, als hätte ich nie etwas anderes gemacht."

Kadir läuft mehrere Stunden täglich, achtet penibel auf Regeneration, Essen, Trinken – und mentale Ausrichtung. "Wenn ich ankomme, dann weiß ich, dass ich alles schaffen kann. Dann wirken andere Herausforderungen kleiner."
"Warum tust du dir das an?"
Seine Familie reagiert mit gemischten Gefühlen. "Meine Mama sagt oft: 'Warum tust du dir das an?'" Auch Freunde erklären ihn für verrückt – aber viele feiern seinen Mut. Sogar auf der Straße wird er angefeuert.
Kadir filmt seine Reise, teilt kleine Videos und motivierende Botschaften. In den sozialen Medien hat er mittlerweile über 2.000 Follower. "Ich will einfach zeigen, dass es immer einen Weg gibt."
"Heute weiß ich, dass alles geht"
Aktuell ist der Hohenemser in seiner letzten Etappe – von Lustenau nach Hard, weiter Richtung Lindau. Die Strecke umfasst am Ende knapp 110 Kilometer. "Das ist ein Meilenstein", sagt er. Aber es soll nicht der letzte sein. "Wenn ich das geschafft habe, mache ich vielleicht die nächste Tour durch den Bregenzerwald."

Abschließend betont der 20-Jährige: "Ich war früher einer, der dachte, er könne nichts. Heute weiß ich, dass alles geht – wenn man es wirklich will."

(VOL.AT)