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"Hurra, wie leben noch"-Stimmung

Jiri Obermatt atmet auf. Es ist die Erleichterung eines Prager Kleinunternehmers, der in der schlimmsten Katastrophe seit 200 Jahren in Tschechien Glück hatte.

Der 41-Jährige betreibt einen Gemischtwarenladen in der Kliment-Straße, Hausnummer 24. Zwei Tage strömte die braune Brühe der Moldau in das Viertel und kam erst am Mittwochabend zum Stehen – bei Nummer 30. Gerade einmal fünfzig Meter entfernt von Obermatts Laden schwappte am Donnerstag schlammiges Wasser in der Schalterhalle der Mährischen Bank-Filiale.

Eine „Hurra, wir leben noch“-Stimmung verdrängte am Donnerstag bei vielen Pragern die tagelange Anspannung. Noch wenige Stunden zuvor drohte das schier Undenkbare: eine Überschwemmung des von der UNESCO geschützten Zentrums mit hunderten historischer Bauten und Museen. Erst eine Handbreit vor der Oberkante der Schutzbarrieren stoppte das Hochwasser der Moldau.

Doch in einigen Bezirken der „Goldenen Stadt“ sah es am Donnerstag verheerend aus: Metrostationen waren geflutet, auf vielen der 500 gesperrten Straßen und Plätze standen angrenzende Häuser bis zum zweiten Stock im Wasser, Autodächer ragten zwischen entwurzelten Bäumen aus dem Fluss.

Obermatt fühlt mit den Geschädigten. Viele seien Kleinunternehmer wie er, und keine Versicherung helfe wirklich gegen die Überschwemmung, meint der Prager: „Ein Geschäft kann man versichern, das ja, aber keine Existenz. Viele Kollegen sind schlicht am Ende.“

Bereits wenige Stunden nach der Entwarnung ließ Oberbürgermeister Igor Nemec die meisten Moldaubrücken wieder für den Verkehr öffnen. Der Kommunalpolitiker wollte angesichts von Milliardenschäden „soviel Normalität wie möglich“ herstellen. Staunend begutachteten hunderte Prager daraufhin am Donnerstag ihren sonst so gemächlich strömenden Fluss.

Doch während die Moldau derzeit stündlich um zehn Zentimeter sinkt, durchleben viele Menschen in Nordböhmen bange Stunden. Mehr als elf Meter hoch soll die Elbe an diesem Freitag durch die Stadt Usti nad Labem (Aussig) tosen – bereits am Donnerstag mussten etwa 3000 Bewohner ihre Wohnungen verlassen. In Prag schlugen sich am Donnerstag viele auf die Schulter und lobten die Solidarität der vergangenen Tage. „Wenn wir Tschechen einen gemeinsamen Feind haben, helfen wir uns gegenseitig“, sagte der 45-jährige Jarda.

Ein Aspekt wurde aber völlig vergessen, nämlich dass ein Klimawandel eine der Ursachen der Katastrophe sein könnte. Tschechien trägt dazu bei: Laut dem Prager Umweltministerium arbeiten die Industrieunternehmen des Landes doppelt so intensiv wie ein Durchschnittsbetrieb in der EU. Doch bisher schwiegen die Ökologen, und auch die tschechischen Medien gingen beharrlich darüber hinweg.

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