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High Noon in Argentiniens Pampa

Romantik pur im Rinderland -  hoch zu Ross bei den Gauchos am Rio de la Plata.
Bei den Gauchos

Pablo würde bei jedem Zahnspangen-Teenager glatt als potentieller Showstar durchgehen. Und irgendwie ist er das ja auch. Pablo ist nämlich Gaucho in der argentinischen Pampa. Aber nicht nur – er ist auch Kunstreiter. Als er sich die Baskenmütze über das Ohr schiebt, huscht ein zufriedenes Lächeln über das braun gebrannte Gesicht. Schule und Ausbildung? Das sei nicht sein Ding.

Ein Pferd und 450 Rinder

Hier draußen, nur 120 Kilometer von Buenos Aires entfernt, habe er auf Senora Evas „Hacienda El Ombú de Areco“ 15.000 Linienbusse und 20 Millionen Pendler, die sich täglich durch die Stadt schieben, gegen ein Pferd und 450 Rinder eingetauscht. „Du wirst sein, was du werden sollst, oder gar nichts.“ Im Frühjahr und Herbst kommt die Gesellschaft von Touristen hinzu. So wie heute. Zwar sind die Wollschärpen mit Silbermünzen und Medaillons, die Pluderhosen und Lederstiefel mit schweren Sporen der fünf Gauchos auf Senora Evas „Estancia“ (Farm) keine Maskerade für Romantik-hungrige Großstädter. Die Zeit, als die geschickten Reiter die riesigen Weideflächen Argentiniens als freie Männer durchstreiften, ist aber vorbei. Im Schatten von 500 Jahre alten Bäumen ist ein langer Holztisch mit Weinflaschen, mit argentinischen Rostbraten und Steaks gedeckt. Beim traditionellen „Asado“ (Grillen) bereitet die Senora ein Dutzend „Greenhörner“ aus Europa auf ihren Ausritt in die argentinische Steppe vor: Im 17. Jahrhundert zogen Gauchos frei wie ein Vogel durch das Land und boten nach Lust und Laune ihre Dienste auf den Estancias an.

Ein neues Cowboy-Leben

200 Jahre später, als Landbesitzer und Industrielle Viehzucht und Lederverarbeitung übernahmen und sich die ersten Weidezäune den Raubeinen in den Weg stellten, war für die Cowboys das zügellose Leben zu Ende. Für Pablos Freund Oscar Pereyra ist das Heute immer noch ein bisschen wie gestern. Vor 50 Jahren war er einer der letzten Gauchos, die von Arbeit zu Arbeit, von Farm zu Farm durch das grüne unermesslich weite Land am Rio de la Plata zogen. Wenn der kleine drahtige Mann vornüber gebeugt über das Farmgelände schlurft, sieht das aus, als wären ihm Hexenschuss und Gichtattacke soeben zeitgleich in die Knochen gefahren. Später wird der Mann mit den großen traurigen Augen im Sattel eine weitaus bessere Figur machen. Abends singt Oscar zur Gitarre melancholische Balladen und Lieder. Die hat er in seinen wilden Tagen am Lagerfeuer gelernt. Nun ist es Zeit, selbst hoch zu Ross das scheinbar endlose Weideland zu erkunden. Von vier Gauchos begleitet reitet der touristische Tross der brennenden Sonne entgegen. Von hinten prescht Pablo heran und gibt Kommandos: Mit der Zunge schnalzen, die Zügel lockern, aber fest im Griff haben, und mit angelegten Beinen aufrecht federnd im Sattel sitzen.

Wie einst John Wayne

Eine gewaltige Staubwolke rollt auf die Reiter zu. Knapp 50 Meter vor der Gruppe biegt die riesige Viehherde plötzlich ab und platscht durch das braune Wasser eines kleinen Flusses. Bald verschwindet der staubige Treck in der Weite der fruchtbaren Pampa. „Du spuckst hier hin und schon wächst was“, sagt Pablo. Allmählich hüllen leuchtende Farbstreifen am Himmel die Prärie in ein oranges und violettes Licht. Wie einst John Wayne reiten die Freizeit-Gauchos dem roten Sonnenball entgegen. Manchmal werden Klischees wahr. Wenn die Sonne untergeht, ist Showtime hinter der Farm. Angeführt von „Boss“ Ramón Castro treiben die Reiter Bullen und Kälber in eine riesige Arena und demonstrieren ihr Geschick im Lassowerfen. Dann richten sich alle Augen auf einen kleinen Ring, der am Bändchen von einem Balken hängt. Ramón zügelt sein tänzelndes Pferd. In seiner rechten Hand hält er einen winzigen Metallstab. Noch einmal bäumt sich die Stute auf, dann prescht der Gaucho in halsbrecherischem Galopp auf das kleine glitzernde Etwas zu.

Ein Ring für die Herzensdame

Mit scharfem Auge und sicherer Hand trifft Ramón den Ring und löst ihn vom Balken. Bravo, und Applaus! Früher überreichte der Sieger seiner Liebsten den Ring – heute dürfen sich viele Herzensdamen über Ramóns „Trophäen“ freuen. Als sich erste Nebelbänder über das Weideland legen, geht ein langer Arbeitstag für die Gauchos zu Ende. Ein Tag, der sich so oder ähnlich noch Dutzende Male im Jahr wiederholen wird. Pablo striegelt sein Pferd und kühlt es mit einem Schlauch ab. Nur das Spritzen des Wassers und manchmal ein wohliges Schnauben von „Tero“ mischen sich in die abendliche Stille auf der Hazienda.

 

Die letzten der Gauchos sind moderne Helden
Für Besucher sind die letzten Gauchos moderne Helden. Da, wo sich Hirse- und Sonnenblumenfelder ausbreiten und ausgedehnte Weidefelder ein Viertel von Argentiniens Fläche bedecken, reiten sie immer noch. Rund 100.000 dieser einstigen Symbole der Freiheit schlechthin streifen derzeit über das weite Land am Fuße der Anden. Für Abenteuer und Freiheit ist nur noch wenig Platz im Rinderland. Mit einem Verdienst von 60 bis 120 Euro pro Monat haben sie das Auskommen eines einfachen Landarbeiters. Auch wenn die einst so wilden Gesellen nicht nur Bewunderer hatten und ihnen im 17. Jahrhundert der Ruf als Vagabund oder Pferdedieb nachhing, ihr Ansehen als Reiter einer nationalen Identität ist ihnen geblieben. Wer als Gaucho fernab der Zivilisation reitet, will in Wind und Sonne im Sattel leben. Auf den „estancieros“ wohlhabender Farmer erzählen die Männer von jener Zeit, als die Pampa noch wilder war als heute, zeigen ihre Reitkünste und ihr Geschick im Lassowerfen.

Rustikale Zimmer auf der Hazienda
Für Señora Eva hat der Alltag auf ihrem Landsitz mit dem Charme von 1890 längst kein abenteuerliches Gesicht mehr. Für ein Rind klingeln gerade einmal 800 US-Dollar in der Kasse. Darum hat die Gutsherrin die Ranch zu einem Zentrum für Gaucho-Kultur mit 12 rustikal- gemütlichen Landzimmern erweitert. Im Schatten von 500 Jahre alten Bäumen deckt sie einen langen Holztisch mit Weinflaschen sowie mit argentinischen Rostbraten und Steaks, dem fettärmsten und vermutlich besten Fleisch der Welt. Kein Wunder, dass in Argentinien selbst Fleischmuffel in Versuchung kommen.

„El Pato“ als Spielgerät der Reiter
Oscar hat beim Reiterspiel „El Pato“ sein Wurfgerät sicher im Griff. Ein Ball mit vier Schlaufen muss von zwei Mannschaften in eine Art Basketball-Korb geworfen werden. Bei 40 Stundenkilometern sind schnelle Reaktionen sowie Geschmeidigkeit bei Tier und Reiter gefragt. Pablo hat als Attraktion für die Zuschauer aber auch einige Dressurstücke seines Pferdes „Tero“ im Programm.

 

REISEINFOS

Anreise: Der Ezeiza Ministro Pistarini International Airport liegt 35 km westlich von Buenos Aires und ist das internationale Tor zu Argentinien. Der Flughafen dient auch als Drehkreuz für Flüge zu anderen Städten in Südamerika.
Lage: Argentiniens Pampa liegt rund 120 Kilometer von Buenos Aires entfernt und ist über eine gut ausgebaute Autobahn zu erreichen. Nahe dem Kolonialstädtchen San Antonio gibt es mehrere Estanzien mit Unterkünften für Touristen. Reisezeit: April bis Mitte Juni (Herbst) und Oktober bis Mitte Dezember (Frühling).
Sprache: Landessprache ist Spanisch, Englisch ist verbreitet.
Kosten: Hotels mittlerer Qualität 30 bis 75 Dollar. Essen in mittleren Restaurants 5 bis 25 Dollar.
Literatur: „Reise durch Argentinien“. Informativer Bildband mit Gaucho-Teil aus dem Stürtz-Verlag (16,95 Euro).

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