ACHTUNG! Dieses Spiel ist nur für Personen, die mindestens 18 Jahre alt sind.
(XB1, PC) Vor 20 Jahren wurde der Low-Budget-Kinofilm „The Blair Witch Project“ zum Mega-Erfolg und startete sozusagen im Alleingang das Genre des „Found Footage“-Films. Nach weiteren zwei Filmen und drei Games war die Nachfrage nach der Horror-Hexenjagd aber gestillt. Kurz: Keiner hat um ein weiteres Sequel gebeten. Trotzdem ist nun mit „Blair Witch“ ein neues Game erschienen, das weniger durch Technik oder Inhalt, sondern durch eine besonders dichte Atmosphäre Gänsehaut erzeugt. Das Grauen ist jede Sekunde im rund fünfstündigen Spiel fühlbar, vom kleinen Unbehagen am Anfang bis hin zum puren Wahnsinn gegen Schluss.
Wir schlüpfen in die Rolle von Ellis: Der Polizist sucht auf eigene Faust im berüchtigten Black Hills Forest, wo die Blair Witch ihr Unwesen treiben soll, einen verschwundenen 9-Jährigen. Neben seinem treuen Diensthund Bullet hat der psychisch instabile Ellis vor allem viel emotionalen Ballast aus seinem Liebes-, Polizisten- und Soldatenvorleben im Gepäck. Freilich läuft die Suche mit dieser Ausgangssituation alles andere als problemlos ab. Was unspektakulär als Spaziergang durch den Wald beginnt, driftet bald in den blanken Horror ab.
Beim Szenario leistet das Indie-Entwicklerstudio Bloober Team („Layers of Fear“) ganze Arbeit: Der Wald, wenn auch grafisch unspektakulär, wirkt glaubwürdig und mysteriös. Man verirrt sich, geht im Kreis, macht immer verstörendere Entdeckungen, während Ellis langsam die Nerven über Bord wirft. Rasch zweifelt man an der Realität, nicht zuletzt auch, weil man ganz allein durch den Wald stolpert. Einzig das begrenzt funktionstüchtige Handy und ein Funkgerät bieten von Zeit zu Zeit Kontakt zu anderen Menschen wie dem Sheriff oder Elllis Ex-Freundin.
Die Spiel-Mechanik ist recht simpel gehalten: Neben Laufen und Rennen kann Ellis seinen Hunde-Begleiter Bullet die Umgebung absuchen lassen, rufen, tadeln oder streicheln. (Hier prangt übrigens im Interface ein peinlicher Übersetzungsfehler: „Pet“ wird fälschlicherweise statt mit „streicheln“ mit „Haustier“ übersetzt.) Bullets Sucherei ist allerdings nur begrenzt nützlich. Hilfreicher ist die Taschenlampe. Mit ihr sieht man nicht nur im Dunkeln besser, sondern kann auch stellenweise auftauchende Geisterwesen unschädlich machen: Hund Bullet schlägt an, wo sich ein Geist befindet, dann leuchtet man ihn direkt an und fertig. Gekämpft wird darüber hinaus nicht. Hat man den Dreh raus, sind die Wesen nach den ersten Schockerlebnissen nur noch begrenzt bedrohlich.
Franchise-typisch ist auch eine Videokamera im Repertoire unseres Helden: Immer wieder findet er Kassetten mit bizarren Aufnahmen. Durch das Vor- und Zurückspulen können wir die Umgebung beeinflussen und so Rätsel lösen. Abseits des Herumirrens sind konkrete Aufgaben bzw. wirklich herausfordernde Kopfnüsse eher Mangelware: Meist muss etwas apportiert oder im besten Fall wieder zusammengebaut werden.
Die einfache Struktur des Games spielt aber auch in die Hände der dichten Atmosphäre. Man fühlt sich unsicher, verloren und hilflos. Navigationshilfen gibt es keine, da kann es vorkommen, dass man feststeckt, wenn man nicht checkt, was die Spiele-Designer gerade von einem wollen. Technisch hakt es leider auch an einigen Ecken: Beim Waldspaziergang bleibt man öfters an kleinen Hindernissen oder unsichtbaren Wänden hängen, die Framerate geht gerne mal in die Knie, bis es ruckelt, und kleine Grafikfehler stören dann und wann das Bild.
Die Story ist schlicht, aber effektiv: Der Wahnsinns-Trip von Ellis fesselt. Echte „Blair Witch“-Fans müssen in Kauf nehmen, dass ein beträchtlicher Teil der Geschichte weniger die Hexe als Ellis Vergangenheit und seine diesbezüglichen Wahnvorstellungen einnimmt. Wirklich Neues über den „Blair Witch“ Mythos bringt das Game nicht an den Tisch.
Fazit: „Blair Witch“ liefert vor allem dank seiner Atmosphäre guten Horror ab, der die kleinen technischen und inhaltlichen Schwächen vergessen macht. Gerade die stete Steigerung vom kleinen Unbehagen in den vollkommenen Horror-Trip (mit heftigem Finale!) hält trotz spielerischen Längen bei Laune. Bei kurzen fünf Stunden Durchspielzeit ist das vielleicht kein so großes Kunststück. Das macht „Blair Witch“ in Bezug auf das Preis-Leistungs-Verhältnis letztlich eher zu einem teuren Spaß. Denn auch der Wiederspiel-Wert hält sich in Grenzen: Es gibt zwar mehrere Enden, aber im Grunde eines für „Gut“, eines für „Schlecht“ und ein paar marginale Variationen davon.
(red)