Heute ist Welt-Aids-Tag. Leben mit dem HI-Virus. Eine Betroffene erzählt.
Marianne* zündet sich eine Zigarette an. Mit meinem Asthma sollte ich eigentlich nicht rauchen”, weiß sie, aber . . .” Die zierliche Frau lässt den Satz unvollendet. Viel zu verlieren gibt es für sie nicht mehr. Denn das wertvollste Gut hat Marianne schon verloren. Ihre Gesundheit. Seit 18 Jahren ist sie mit dem Aidsvirus infiziert. Dank Kombinationstherapie geht es ihr zwar relativ” gut. Doch von einem normalen Leben will sie nicht sprechen. Trotzdem zählt sich Marianne zu jenen HIV-Positiven, die ein bisschen mehr Glück hatten”, weil die Menschen, die mir wichtig sind, zu mir stehen”.
Schwer zu erklären
Heute ist Welt-Aids-Tag. Marianne meint, dass es die Erinnerung an eine der größten Epidemien der Gegenwart nach wie vor braucht. Vor allem die Information ist wichtig”, sagt sie mit Nachdruck. Viele Leute würden das Thema einfach verdrängen. Sie wollen nichts damit zu tun haben.” Auch Marianne verschwendete damals keinen Gedanken an diese Krankheit. Bis sich herausstellte, dass ihr Partner Aids hatte. Beide waren zu dieser Zeit im Drogenmilieu zu Hause. Als die Diagnose bekannt wurde, ließ sich Marianne testen. Der Befund fiel positiv
Schlechte Erfahrungen
aus. Immer noch fällt es ihr schwer, die Empfindungen in Worte zu fassen. Schweigend schaut sie den Rauchkringeln der Zigarette nach. Dann versucht sie sich an einer Erklärung: Komisch. Ja, es ist ein komisches Gefühl. Man weiß, man ist krank und kann doch nichts dagegen tun.” Diese Hilflosigkeit zu akzeptieren, das sei am schwersten gewesen.
Manchmal hadert sie immer noch mit dem Schicksal. Im Großen und Ganzen habe sie sich mit der Krankheit jedoch arrangiert. Aber nur ihre Familie und die engsten Bekannten wissen Bescheid. Auch in dem Mehrparteienhaus, in dem sie seit Kurzem wohnt, kennt niemand ihre Leidensgeschichte. Denn Marianne kann ein Lied davon singen, wie es war, als sich Leute aus Angst vor Ansteckung weigerten, ihr die Hand zu geben oder die Straßenseite wechselten, nur um nicht an ihr vorbeigehen zu müssen. Man wird wirklich wie ein Aussätziger behandelt”, bedauert die 47-Jährige. Und fügt leise an: Die Ausgrenzung ist am schlimmsten.” Ihr einziger Wunsch: mehr Solidarität und soziale Akzeptanz.
Viel Lebensmut
Ohne das ist alles ein bisschen mühsamer. Marianne schaut sich die Menschen, die sie kennenlernt, genau an. Man muss ständig überlegen, was und wie viel man jemandem sagen kann”, erzählt sie. Trotzdem hat die attraktive Frau den Lebensmut nicht verloren. Selbst eine neue Partnerschaft hält sie für möglich. Einfach sei es jedoch nicht, ist sie sich bewusst. Derzeit läuft das Verfahren zur Frühpensionierung. Marianne würde gerne arbeiten. Aber die Krankheit lässt das nicht mehr zu. Ihre ganze Freude sind jetzt die Kinder und Enkelkinder. Sie geben Marianne Kraft, gegen das Virus anzukämpfen.
* Name von der Redaktion geändert