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"Hamlet"-Uraufführung in Wien als Psychodrama

Andre Schuen (Hamlet) und Theresa Kronthaler (Ophelia)
Andre Schuen (Hamlet) und Theresa Kronthaler (Ophelia) ©APA (Theater an der Wien)
Inzest, Mord und Sex - wie könnte man einen Saisonauftakt besser gestalten? Das Theater an der Wien (TAW) hat am Mittwochabend mit der Uraufführung von Anno Schreiers "Hamlet" als erste Saisonpremiere ein intimes Kammerspiel präsentiert, das am Ende zu Recht umjubelt wurde. Dazu trug nicht zuletzt eine große Ensembleleistung mit Hausstars wie Marlis Petersen, Bo Skovhus oder Andre Schuen bei.


Librettist Thomas Jonigk nimmt den Shakespeare-Stoff lediglich als Inspiration und erweitert den Fokus vom leidenden Prinzen auf ein familiäres Psychodrama, gibt der Tragödie einer Familie breiten Raum. Das Stück könnte auch “Die Hamlets” heißen, umfasst die Familienaufstellung der Leiden doch eine inzestuöse Beziehung zwischen Mutter und Sohn ebenso wie Ophelia als Edelprostituierte, mit der alle Männer etwas hatten, und den toten Vater nicht als Unheil kündenden Geist, sondern als zynischen Conferencier und Kommentator des Abends. Dieser Part ist eine Paraderolle für den einst legendären deutschen Counter Jochen Kowalski, der Empfehlungen wie “Schon zu Lebzeiten möglichst tot sein” von sich geben darf.

In sehr prosaischer Sprache mit einigen guten Aphorismen wird im Grenzbereich zwischen Dogma-Arbeiten a la “Das Fest” und melodramatischer Telenovela ein Theaterabend entwickelt, der ebenso wendungsreich wie frei von Ambivalenzen der einzelnen Figuren ist. Entwicklungen der Charaktere gibt es kaum. Und am Ende überleben Claudius und Gertrud – samt Kind im Bauch, das wieder den Namen Hamlet tragen wird. Die Geschichte wiederholt sich also respektive bewegt sich in Schleifen.

Anno Schreier unterstützt diesen theatralen Charakter des Abends, indem er die Textverständlichkeit als höchstes Gut in den Mittelpunkt und seine Musik ganz in den Dienst des Librettos stellt. Oft bilden dunkle Bassstimmen nur den Urgrund, durch den die Sänger waten müssen, bevor kurze Ausbrüche als Crescendo folgen. Dabei gestaltet sich die Musik durchaus variantenreich, wechseln sich doch kurze lyrische Passagen mit Schlagwerkausbrüchen ab, kontrastieren Tanzzitate bis hin zum Walzer moderat dissonante Stellen. Streckenweise fühlt man sich an Bartok erinnert, mit manchen Neoromantizismen aber noch öfters an die späten Werke von Richard Strauss, wobei Schreier dem Chor eine zentralere Rolle einräumt und diesem manchmal beinahe a capella die Bühne überlässt.

Auch Regisseur Christoph Loy bemüht sich, den Fokus nicht von den Figuren zu nehmen. Ein schräger Bühnenboden, graue Farbskala, gute Personenführung. Aus. Reicht ja aber auch. So kann Andre Schuen im aparten James-Dean-Outfit manchmal zwar etwas hölzern spielend, stimmlich aber doch als Dänenprinz überzeugen und die gewohnt herausragende Marlis Petersen ihren Sopran als Furie Gertrud in lichte Höhen entschweben lassen. Bo Skovhus indes mordet sich als diabolischer Claudius im Jack-Nicholson-Stil durch den Abend, was ihm angesichts seines charaktervollen Baritons aber niemand übel nimmt, während Theresa Kronthaler als zweifelnde Kurtisane Ophelia eine Entdeckung ist. Einzig Kurt Streit übertreibt die Servilität seines Pastors streckenweise ins Grimassierende.

Shakespeare-Feinde haben es nun auch in den kommenden Monaten schwer im Theater an der Wien, wurde mit der gestrigen Premiere doch nicht nur Saisoneröffnung, sondern auch der Start des heurigen Shakespeare-Schwerpunktes anlässlich des 400. Todestags des Theaterheroen eingeläutet. Am 12. Oktober folgt Antonio Salieris “Falstaff”, bevor am 11. November der Verdi’sche “Macbeth” am Spielplan steht.

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