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Gogi Knezevic: "Ich bin imstande, im Ring zu sterben"

©vienna.at
Wiens Boxhoffnung Gogi Knezevic im Exklusiv-Interview über seinen bevorstehenden Titelkampf, seinen Mentor Edip Sekowitsch, warum er jede Runde boxt, als wäre es seine letzte und warum HC Strache bei ihm abgeblitzt ist.
Boxer Gogi Knezevic beim Training
Porträt Gogi Knezevic

Vienna Online: Du boxt am 26. Juni in Wien um den Interkontinentaltitel. Warum ist dieser Titel wichtig?
Gogi Knezevic: Ich hätte im Oktober letzten Jahres um die Weltmeisterschaft boxen sollen. Aber ich bin eine Woche vor dem Kampf krank geworden und der Gegner hat jemand anderen genommen. Jetzt hat der Albaner wieder verteidigt aber wieder jemand anderen genommen. Er wollte nicht mit mir boxen. Der Interkontinentaltitel ist der wichtigste Titel neben der Weltmeisterschaft. Wenn ich den gewinne, dann werden wir im Herbst gegeneinander boxen müssen. Er ist Weltmeister und ich bin der erste Herausforderer. Seine dritte Titelverteidigung muss er gegen den Pflichtherausforderer bestreiten. Das würde dann ich sein. 

Vienna Online: Was weißt du über deinen jetzigen Gegner?
Gogi Knezevic: Ich weiß nur, dass er 50 Profikämpfe hat. Aber ich beschäftige mich nicht mit dem Gegner. Das klingt jetzt ein bisschen arrogant, aber das ist meine Einstellung, auch im Leben. Ich schmeiße meine Sorgen auf ihn. Er soll schlaflose Nächte verbringen, nicht ich. Ich trainiere für jeden Gegner, egal wer es ist – immer 120 Prozent!

Vienna Online: Es gibt keine spezielle Taktik?
Gogi Knezevic: Was ich kann, kann ich. Was er kann, kann er. Wenn wir beide topfit sind, entscheidet meistens der Kopf. Man kann sich viel kaputt machen, wenn man vorher nachdenkt. Ich habe das einmal gemacht: Im April 2009 habe ich um dem WBC-Europatitel geboxt. Ich habe mich auf den Gegner voll eingestellt und dann hat er plötzlich ganz anders geboxt. In jeder Runde waren über 100 Schläge. In diesem Kampf habe ich fünf Kilo im Ring verloren. Ich habe bis fünf Uhr in der Früh keinen Dopingtest machen können, weil ich keinen Urin lassen konnte.
So etwas mache ich nie wieder. Ich schaue mir in der ersten Runde an, wie er boxt. Nach einer Minute weiß ich, was ich taktisch tun muss. Und dann zwinge ich ihm meinen Stil auf. Verstehst du? Man muss ein bisschen stur sein für den Sport. Es geht darum, dem anderen seinen Stil aufzuzwingen. Wenn er versucht, sich auf meinen Stil einzustellen, dann ist er schon erledigt.

Vienna Online:  Wie würdest du deinen Boxstil beschreiben?
Gogi Knezevic: Ich bin ein Fighter. Ich boxe mit Herz und jede Runde mit der gleichen Intensität. Manche glauben, dass ich verrückt bin – aber ich boxe jede Runde als wäre es meine letzte.
Ich habe oft gesehen, dass ein Boxer in den letzten zwei Runden nur noch davonläuft, weil er nach Punkten vorne liegt. Die Leute buhen ihn nachher aus, die sehen das. Auch Edip Sekowitsch hat immer gesagt: Du kannst alle anlügen – nur das Publikum nicht.
Ich bin nicht unschlagbar, aber ich denke nicht daran, dass ich verlieren könnte. Ich denke keine Sekunde daran. Wenn es einmal soweit ist, dann höre ich auf.

Vienna Online: Was kann man von deinem Kampf erwarten?
Gogi Knezevic: Ich werde zur Musik des deutschen Rappers Nazar in den Ring gehen. Es ist das beste Gefühl, wenn dir tausend Leute zujubeln und du ihnen einen schönen Moment bescheren kannst. Das klingt jetzt komisch, aber: Dann bin ich imstande, im Ring zu sterben.
Am Rücken trage ich “Ich bin Wien”, weil die SPÖ mich sponsert. Darauf bin ich stolz, denn ich bin ein Wiener. In Serbien war ich ein Österreicher. Und in Österreich ein Serbe. Jetzt fühle ich mich das erste Mal zuhause – und das ist in Wien. Für mich ist es das Größte, dass ich eine Stadt repräsentieren darf – die Stadt, in der ich aufgewachsen bin.
In Serbien gibt es genug Europa- und Weltmeister. In Wien gibt es keinen. Ich will der erste Österreicher sein, der nach Edip Sekowitsch Europa- und Weltmeister wird. Darum bin ich wieder nach Wien zurückgekommen. Das ist mein Antrieb.

Vienna Online: Ist so ein Titelkampf ein Geschäft?
Gogi Knezevic: Mein jetziger Manager, Olaf Schröder, ist auch Funktionär beim Verband WBF. Der Kampf, den wir jetzt nach Wien geholt haben, sollte eigentlich in Las Vegas stattfinden – mit Hector Camacho. Es ist schwer zu erklären, wie wir es geschafft haben, den Titelkampf aus Las Vegas nach Wien zu holen. Da geht es natürlich auch ums Geld, mein Freund Zeljko Vujinovic übernimmt die Organisation des Events. Er ist ein Idealist. Er macht es, obwohl kein Fernsehen dabei ist.

Vienna Online: Das hört sich sehr ehrgeizig an…
Gogi Knezevic: Ja. Das will ich auch der Jugend mitteilen. Geht nicht gibt’s nicht. Verlieren existiert in meinem Vokabular nicht. Mein bester Freund ist der Basketballer Stjepan Stasic (österreichischer Nationalspieler, Anm.). Wir sind zusammen aufgewachsen. Wenn wir gemeinsam Joggen gehen, dann wird daraus ein Wettlauf. Wenn wir fortgehen, diskutieren wir auch um drei Uhr früh, wer stärker ist. Dann gehen wir aus der Disco raus, machen Sprints und die Mädchen müssen stoppen, wer schneller ist.

Vienna Online: Vor kurzem war in einer Tageszeitung zu lesen, dass FPÖ-Chef HC Strache dich mit Anrufen “stalkt” und dein Sponsor sein will…
Gogi Knezevic: Er hat mich nicht gestalkt. Es ist so: Er hat mich für zwei Kämpfe gesponsert. Damals wusste ich nicht, wie populär ich in Wien und in meiner Community werde. Ich wusste auch nicht, dass ich für seine Parolen stehen würde. Doch damit kann ich nicht.
Er ist ein cooler Typ, ich habe ihn kennengelernt. Es gibt auch manche Sachen, wo ich mir denke, dass er recht hat. Aber man kann das heutzutage – noch dazu in einer Stadt wie in Wien – nicht so ausdrücken, wie er das macht. Weil hier Multikulti gelebt wird. Ich habe gemerkt, dass ich als Leistungssportler das Gesicht für meinen Sponsor bin. Die Leute sagen dann: Aha, der sagt das und du stehst für ihn.
Ich habe das Sponsoring von der FPÖ wie das Sponsoring einer Firma betrachtet, nicht politisch. Bei der SPÖ – die mich jetzt sponsert – ist das ein bisschen anders. Die haben mich mit dem Slogan “Ich bin Wien” gewinnen können. Das hat mich überzeugt.

Vienna Online: Österreichs letzter Weltmeister, Edip Sekowitsch, war dein Mentor und Trainer. Wie konntest du damit fertig werden, dass er ermordet wurde?
Gogi Knezevic: Eigentlich wollte ich mit dem Boxen aufhören. Damals habe ich keinen Grund mehr gesehen, weiterzumachen. Edip war mein Idol, mein Hero. Er und mein Vater waren wie Brüder. Er war für mich der Stärkste. Und wenn einem solchen Menschen so etwas passieren kann…das hat mein Weltbild verändert. Dass man so jemanden kaltblütig ersticht, das war für mich nicht fassbar. Seine Frau hat zu mir gesagt, dass er gewollt hätte, dass ich – für ihn – weiterboxe. Das mache ich. Aber ich habe ihm meine besten Kämpfe nie zeigen können.
Ich hatte zwei Monate nach seinem Tod in der Pyramide einen Kampf um den Internationalen Österreichischen Meistertitel gegen Janos Petrovics, der bei Olympia gegen Oscar de la Hoya geboxt hat. Ich konnte drei Tage vorher nichts essen, ich habe nur gekotzt. Ich habe mir von dem Kampf nichts erwartet. Mein Bruder hat beim Einmarsch Edips Bild getragen, und kurz vor dem Kampf haben sie dort einen kurzen Film über ihn gezeigt. Das hat mir einen Adrenalinschub gegeben. Immer, wenn ich zwischen den Runden in meiner Ecke saß, habe ich seine Stimme gehört: Komm, geh, weiter! Ich habe nach 10 Runden nach Punkten gewonnen. Nach dem Kampf musste ich mit einer schweren Gehirnerschütterung ins Spital.

Vienna Online: Das Urteil gegen den Mörder von Sekowitsch ist vor kurzem bestätigt worden, 20 Jahre Haft. Hilft das, ist das eine Art von Genugtuung?
Gogi Knezevic: Auch 100 Jahre können keine Genugtuung sein. Ich spüre Edip. Normalerweise fahre ich nach dem Training in sein Lokal. Ich fahre nicht in mein eigenes, sondern in seines! Dort spüre ich ihn. Ich wohne in der Nachbarschaft. Wenn ich dort bin, dann ist es für mich, als ob er noch da ist. Man kann dieses Gefühl nicht beschreiben. Ich habe den Mörder gesehen bei der Gerichtsverhandlung, der ist 10 Meter von mir entfernt gesessen. Das kann man nicht beschreiben. Wenn du den Menschen siehst, der jemand umgebracht hat, den du geliebt hast. Das kann man nicht fassen.
Weißt du, wie der Mörder ausschaut? Wie ein Baby. Das ist unvorstellbar. Aber wenn man sich auf der Straße ein bisschen auskennt, dann sieht man: Der hat den Tod in den Augen. Aber ich glaube auch nicht, dass er es allein war.

Vienna Online: Seit wann hat dich Edip trainiert?
Gogi Knezevic: Von meinem ersten Kampf an. Da war ich 20, und ich saß wegen Körperverletzung ein Monat in Untersuchungshaft, weil das Opfer eine andere Geschichte erzählt hat. Was ich damals nicht wusste: Als Boxer bin ich verpflichtet, ihm vorher zu sagen, dass ich ein Boxer bin, und dann darf ich erst hinhauen. Das ist ein komisches Gesetz in Österreich. Man sieht meine Hände als Waffen an. Damals hat Edip für mich garantiert, ich habe bei ihm zu arbeiten begonnen und dann meinen ersten Profikampf gemacht.

Vienna Online: Wie gehst du mit deiner Vorstrafe um?
Gogi Knezevic: Früher habe ich gerauft. Ich war aggressiv. Aber jetzt will ich jungen Leuten helfen, das zu überwinden. Ich habe es geschafft. Ihr könnt das auch. Das ist meine Message.
Wenn jemand unbedingt raufen will, dann soll er es fair machen. Fair Play. Es gibt viele Boxklubs. Da gehst du rein, trainierst, kriegst Handschuhe, einen Kopfschutz, einen Mundschutz und dann kämpfst du gegen einen Menschen, der das gleiche Gewicht hat wie du, der sich genauso vorbereiten konnte wie du – dann stehst du deinen Mann! Aber jemanden zu schlagen, der ohnehin schwächer ist als du – da bist du nicht stark.
Ich komme oft in Situationen, in denen ich provoziert werde. Aber ich wende nicht mehr Gewalt an. Man kann alles ohne Gewalt regeln. 
Als die Sache mit der Vorstrafe in der Zeitung gestanden ist, kam am nächsten Tag ein Junge, der im Gefängnis war, zu mir und hat gesagt: Was, Gogi, du warst im Gefängnis? Wenn du das trotzdem geschafft hast, schaffe ich das auch. Und wenn es nur einer ist, für den ich es tue: Es zahlt sich aus. Darum mache ich es. Wenn es nur einer kapiert, dann habe ich schon meine Arbeit gemacht.
In mein Lokal kommen heute junge Burschen, die wegen Gewalt im Gefängnis waren. Die kochen am Samstag mit mir gemeinsam Suppe. Die würden jetzt keiner Fliege was zuleide tun.

Vienna Online: Als Sportheld bist du ja eine öffentliche Figur. Muss man, um ein Held zu werden, auch ein Typ sein? Und wenn ja – was für einer?
Gogi Knezevic: Schau, als ich in Österreich zu boxen begonnen habe, gab es viele junge Burschen, die genauso talentiert waren wie ich. Heute boxt von denen keiner mehr. ‘In Österreich kann man es eh nicht schaffen’, haben die gemeint. Aber wozu lebe ich dann hier? Wenn ich nicht einmal kämpfe, wie kann ich dann wissen, ob ich gewinne? Jetzt auf einmal kommen die ganzen Burschen und sagen: ‘Oida, Gogi, unglaublich – ich hätte auch boxen sollen’.
Die Jugend hat keine Träume mehr, weil die Eltern sagen: Träum’ nicht, mach lieber die Schule, sonst kannst du nichts werden. Das ist das erste. Das zweite ist: Die Leute glauben nicht mehr an sich. Die glauben nicht an ihre Nation und auch nicht an sich. Ich will mit meinen Kampagnen ‘Ich bin Wien’ und ‘Stoppt Gewalt an Schulen’ weitermachen, will, dass die Jugend wieder an sich glaubt. Jetzt dürfen sie nicht träumen. Wenn du nicht mehr träumst, bist du schon tot. Sicher musst du die Schule machen, und du musst arbeiten – aber du musst irgendwo auch träumen.

Vienna Online: Stichwort Träume. Wie sehen deine Träume aus?
Gogi Knezevic: Ich würde gerne im schlimmsten Viertel Wiens einen Boxclub aufmachen, wo man zum Selbstkostenpreis trainieren kann. Mich interessiert kein Geld. Mein Lebensziel ist ein Boxclub, wo ich das Gehalt eines normalen Arbeiters verdiene, jungen Leuten etwas beibringen kann und die kleinen Dingen des Lebens genieße.

Vienna Online: Das heißt, du willst keine 109-Zimmer-Villa wie Nikolai Walujew?
Gogi Knezevic: Das ist doch unnötig. Nicht nur für mich – für jeden. Hochmut kommt vor dem Fall. Er ist kein Champion. Du hast ihn boxen sehen, oder? Du respektierst ihn sicher nicht. Du lachst ihn höchstens aus. Er hat Komplexe, aber da helfen ihm die vielen Zimmer auch nicht weiter. Auch Edip hat ihn nicht respektiert. Warum? Er hat nicht geblutet für das, was er geschafft hat. Es gibt viele Boxer, die es geschenkt bekommen. Die haben einen guten Promoter und werden Weltmeister ohne Cuts zu bekommen.

Das Gespräch führten Philipp Glanner und Martin Ucik

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