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„Glaubt mir, ich war ganz unten“

©Wann & Wo
Max* lebte in einer Welt voller Gewalt, Drogen und Hass. Der Tod seiner zwei besten Freunde brachte ihn zurück ins „normale“ Leben. W&W erzählt der 35-Jährige, der fünf Jahre lang in Vorarlberg den Neustart wagte, seine Geschichte.

von Julia Andergassen/Wann & Wo

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„Glaubt mir, ich war ganz unten“ – mit leicht fettigem und ungekämmtem Haar sitzt er da, zieht tief an seiner Zigarette, trinkt einen Schluck Red Bull. Er sitzt im 4. Stock auf der Terrasse eines 60er-Jahre-Wohnblocks und blickt in die Ferne, starrt auf den Boden, blickt auf, den Kopf etwas schräg. Sagt: „Ich bin so geworden, weil ich ein schlechtes Gewissen habe und glaube, einiges wieder gut machen zu müssen.“ Max*, erzählt über sich. Ein ehemaliger Krimineller, mittlerweile in seinen Mitte 30ern angekommen. Die Liste seiner bösen Taten ist lang, das Gefühl der Reue groß.

Krimineller Alltag

„Mit 14 rammte ich meinem betrunkenen Vater ein Messer in den Rücken. Ich wollte meine Mutter vor ihm schützen. Dann kam ich ins Heim. Ihr wurde alles zu viel, sie konnte damit nicht umgehen.“ Fremde Leute zogen ihn groß. Kurz danach experimentierte er zum ersten Mal mit Drogen, klaute Autoradios, brach nachts in Supermärkte ein, bestahl wahllos fremde Leute, verprügelte Passanten, dealte mit Waffen und illegalen Substanzen. Die Mafia sorgte für sein monatliches Einkommen.

Der totale Crash

Mit 18 fuhr er zu schnell in eine Kurve, schlitterte auf die Gegenfahrbahn und krachte frontal in einen Lkw. Seine zwei besten Freunde starben, er bezahlte den Unfall mit einem halben Jahr im künstlichen Tiefschlaf. Als er aus jenem erwachte, wollte er sich zuerst selber das Leben nehmen.

Neustart in Vorarlberg

Nach einem halben Jahr in einer Reha-Klinik musste er weg. Er wollte vergessen. „Ich komme aus einem 250-Einwohner-Kaff. Da ist es unausweichlich, dass ich der Familie meines Freundes täglich über den Weg gelaufen wäre. So kann man nicht abschließen.“ Er verliebte sich in eine Österreicherin und machte Urlaub bei ihr in Wien. „Ich hatte immense Schulden und brauchte dringend einen Job – egal welchen und egal wo.“ In Dornbirn fand er diesen dann, wo er ganze fünf Jahre verbrachte. Währenddessen folgten mehrere Gerichtsverhandlungen: Körperverletzung, fahrlässige Tötung, Raub, Erpressung. Um nicht ewig auf einem Schuldenberg von über 100. 000 Euro zu sitzen, entschied er sich für den Privatkonkurs – und begann sein Leben radikal zum Guten zu wenden.

Zum Vorzeigebürger

Heute studiert Max* im zweiten Semester Mathematik und Physik in Wien. Der siebenjährige Privatkonkurs ist zu Ende. Auch vieles andere ist zu Ende: Er trinkt keinen Schluck Alkohol mehr und hat, als er seiner im Sterben liegenden Oma vor zwölf Jahren das Versprechen gab, auch keine einzige weiße Linie mehr durch seine Nase gezogen. „Es war ihr letzter Wunsch“, so seine Worte. Seit Jahren schickt er seiner Mutter jeden Monat 200 Euro. Im Mai vergangenen Jahres bekam er das Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen, weil er einem Mann, der vor ihm bewusstlos zusammengebrochen war, das Leben rettete.

Blick nach vorne

Er trainiert beim Staatsmeister im Kickboxen seine Balance und seinen mit Narben übersäten und bunt tätowierten Körper auf Kondition und Ausdauer. Nebenbei unterrichtet er Volksschüler in Mathe, geht mit dem Hund seiner Mitbewohnerin jeden Morgen Gassi und fährt 600 Kilometer von Wien nach Vorarlberg, um seiner besten Freundin die Möbel für deren neue Bleibe aufzubauen. „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern. Du musst nach vorne blicken.“ Mutige und weise Worte, die zeigen, dass jeder im Leben eine zweite Chance bekommt, wenn er stark und mutig genug ist sie zu nutzen.

 *Name von der Redaktion geändert

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