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Gewalt an Frauen: Corona beginnt erst

©Privat
Der Lockdown bedeutet in vielen Haushalten Spannungen. Das zeigt sich auch in der FrauennotWohnung des ifs.

von Anja Förtsch/Wann & Wo

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Für Anja Natter sieht die vieldiskutierte Corona-Kurve etwas anders aus als die bekannte Glockenkurve – nämlich um einige Wochen nach hinten verschoben. Und leider noch nicht am Absteigen. Denn Anja Natters persönliche Corona-Kurve zeigt nicht die Anzahl der infizierten Personen. Sondern der Frauen, die aufgrund von Gewalt daheim in die FrauennotWohnung des ifs flüchten. „Anfangs war es hier in Bezug auf Neuaufnahmen recht ruhig“, berichtet die Leiterin der Einrichtung im Gespräch mit WANN & WO. „Seit einigen Tagen verzeichnen wir aber vermehrt Anfragen.“ Ein Effekt, mit dem ab der Verordnung des Lockdowns zu rechnen war: „Die Ausgangsbeschränkungen und die Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden werden als belastend empfunden. Kommen dann auch noch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, möglicherweise verbunden mit einer Suchterkrankung des Gefährders hinzu, treffen aktuell viele Spannungsauslöser aufeinander“, schildert Natter.

„Zahlreiche Frauen verbringen aktuell sehr viel Zeit auf engem Raum mit ihrem Gefährder. Es gibt weniger Ausweichmöglichkeiten, weniger Spielraum, sich aus dem Weg zu gehen – somit ist es schwieriger, Konflikten auszuweichen, Streitigkeiten ruhen zu lassen, weshalb Eskalationen rascher oder häufiger auftreten.“ Dabei spiele der soziale, finanzielle und ethnische Hintergrund der Frauen keine Rolle, sagt Natter. „Es sind zudem nicht nur partnerschaftliche Konflikte gemeint, sondern auch Gewalttaten an Kindern oder Geschwistern. Somit können sich auch junge Frauen, die zu Hause Gewalt erleben, ans ifs wenden.“

Schnell reagiert und Extra-Plätze geschaffen

Aus diesem Grund hat auch das Land Vorarlberg schon zu Beginn der Corona-Krise reagiert: Die Plätze in der FrauennotWohnung wurden beinahe verdoppelt, von 16 auf 30. „Deshalb stehen aktuell auch noch freie Plätze zur Verfügung. Das ermöglicht es uns, auch in dieser Krise sofort zu reagieren und den Frauen einen Platz bei uns anzubieten“, so Natter. Doch eines können auch zusätzlich geschaffene Plätze nicht erfüllen: den in der Arbeit mit misshandelten Frauen so notwendigen persönlichen Kontakt und Rückhalt.  Berührungen, Umarmungen, all das ist aktuell nicht wie üblich möglich, damit sowohl die Frauen, als auch die Mitarbeiterinnen vor dem Virus geschützt werden. „Damit wir unser Angebot aufrechterhalten können, achten wir darauf, unsere persönlichen Kontakte einzuschränken und gleichzeitig dennoch für die Frauen, die unsere Unterstützung brauchen, da zu sein“, stellt die 39-Jährige klar. „Die derzeitige Situation stellt uns, genauso wie alle anderen, vor eine große Herausforderung. Die direkte Arbeit mit den Frauen hat sich in den letzten Wochen natürlich verändert – aber wir finden immer einen Weg, um Angebote machen, Gespräche führen und als Ansprechpartnerin da sein zu können.“ Mit diesem „immer“ meint die klinische Sozialarbeiterin genau das: immer. Denn selbst wenn aufgrund des Lockdowns und der daraus entstehenden Spannungen in Beziehungen und Familien gerade mehr Frauen als üblich in der Notwohnung betreut werden, muss niemand weggeschickt werden: „Im Jahresdurchschnitt und auch aktuell ist es uns in der ifs FrauennotWohnung möglich, alle Frauen aufzunehmen, die unsere Unterstützung brauchen.“ Und darüber hinaus gebe es neben dem  stationären Angebot der FrauennotWohnung auch die ifs Gewaltschutzstelle, die Beratung und Begleitung für Menschen bietet, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, so Natter.

Was kommt nach dem Lockdown?

Doch wie weiter für die Frauen?  Was kommt nach dem Lockdown? „Es gibt Frauen, die sich entscheiden, zum Gefährder zurückzukehren, aber auch Frauen, die sich entscheiden, sich zu trennen. Wir unterstützen jede Frau“, bekräftigt Leiterin Natter. Das ist auch nötig, denn diejenigen, die sich für die Trennung entscheiden haben es aktuell besonders schwer: „Eine der größten Herausforderungen ist derzeit bestimmt die Arbeits- und Wohnungssuche. Hier können oft Monate vergehen, bis etwas Geeignetes gefunden wird.“ So schnell wird die Corona-Kurve in der ifs FrauennotWohnung wohl noch nicht abflachen.

Immer erreichbar: Die ifs FrauennotWohnung

Die Mitarbeiterinnen der ifs FrauennotWohnung sind auch während der Corona-Krise täglich rund um die Uhr erreichbar. Unter Tel. 051755 577 versuchen sie, bestmögliche Unterstützung, von der telefonischen über die persönliche Beratung bis zur Unterbringung in der Notwohnung, anzubieten. Aufnahmen im Haus sind zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich. Um die Frauen zu schützen, wird die Adresse geheim gehalten und es werden keinerlei Informationen über sie oder ihre Kinder nach außen gegeben.

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