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Wie stark betroffen ist die "Generation Corona"?

Für Miriam Auer ist die Offene Jugendarbeit mehr als nur ein Job.
Für Miriam Auer ist die Offene Jugendarbeit mehr als nur ein Job. ©handout/Auer
Miriam Auer, Jugendarbeiterin und stellvertretende Geschäftsführerin der Offenen Jugendarbeit Lustenau, spricht mit W&W über die Auswirkungen der Pandemie auf die „Generation Corona“.

von Jacqueline Fritsche/Wann & Wo

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WANN & WO: Wie wirkt sich die Pandemie auf die jüngere Generation aus?

Miriam Auer: Das ist noch schwer zu sagen, da die Auswirkungen der Pandemie erst in den nächsten Jahren spürbar sein werden. Klar ist, dass sich diese Generation definitiv anders als die vorherige entwickeln wird. Allerdings können auch Chancen entstehen und die Dinge werden aus einem neuen Blickwinkel betrachtet.

WANN & WO: Weshalb trifft die Pandemie die Jugend am härtesten?

Miriam Auer: Die Dinge, die in ihrem Alter wichtig sind, wie zum Beispiel das „Hörner abstoßen“, sich von zuhause zu lösen und eigene Erfahrungen zu machen, fehlen nun komplett. Zudem sind sie oft orientierungslos und auf sich alleine gestellt. Die schulischen Herausforderungen und berufliche Engpässe spielen eine ebenso große Rolle, wie der altersbedingt steigende Druck, nicht zu genügen. Diese Generation fragt sich oft, wie lange ein Virus noch ihr Leben bestimmen wird und die Krise wird deutliche Spuren hinterlassen.

WANN & WO: Wodurch wurde die neuartige Situation erstmals im Bereich der Jugendarbeit deutlich spürbar?

Miriam Auer: Spürbar wurde sie besonders heftig mit dem ersten Lockdown. Ich hatte das Gefühl, dass es für uns alle ein riesiger Schock war. Diverse Ängste und Fragen kamen hoch: „Wie meistern wir das? Wie geht es für uns weiter? Wie können wir in dieser Zeit für unsere Jugendlichen da sein?“ Fragen, über die wir uns eine Woche zuvor noch keinerlei Gedanken machen mussten.

WANN & WO: Tauchten in der Corona-Zeit bisher neue Thematiken und Teilbereiche in der Jugendarbeit auf?

Miriam Auer: Ein großer Teilbereich, der auf uns zu kam, war natürlich das „Social Distancing“. Außerdem beschäftigte uns die Frage, wie wir in Zukunft weiterarbeiten können. Die mobile Jugendarbeit war ein Anker, der uns Sicherheit gebracht hat und den Kontakt zu den Jugendlichen weiterhin ermöglichte.

WANN & WO: Welche Problematik birgt die Pandemie, aber auch welche Möglichkeiten und Chancen ergeben sich für die Jugendarbeit?

Miriam Auer: Die Problematik war, dass wir nie alle Jugendlichen würden erreichen können. Wir mussten uns komplett neu organisieren und uns überlegen, wie die Jugendarbeit in einer Krisensituation eigentlich aussieht. Durch hilfreiche Gespräche mit unserem Dachverband (koje) und die Vernetzung mit der Gemeinde Lustenau und anderen Jugendeinrichtungen wurde rasch ein Leitfaden entwickelt. Es wurden neue Kompetenzen in unseren Alltag integriert, Stärken verschiedener Mitarbeiter genutzt und Jugendliche um Rat gefragt, was soziale Medien angeht. Für uns alle boten sich zahlreiche Möglichkeiten, Neues zu lernen und die persönliche Weiterentwicklung zu stärken.

WANN & WO: Wie sieht es mit „digitaler Jugendarbeit“ aus und was macht ihr sonst noch?

Miriam Auer: Die digitale Jugendarbeit ist für uns in dieser herausfordernden Zeit noch viel wichtiger geworden. Momentan deckt sie 40 Prozent unseres Arbeitstages ab. Wir versuchen, über verschiedene Medien erreichbar zu sein, seien es Einzelgespräche, Gruppenkonferenzen oder ein gemeinsames virtuelles Spiel. Die Jüngsten bei uns im Team kümmern sich auch um lustige Beiträge, die unsere Jugendlichen in dieser verrückten Zeit zum Lachen bringen sollen. In der restlichen Zeit sind wir für Einzelgespräche und Projektarbeiten, wie zum Beispiel unsere Spendenaktion für bedürftige Familien, welche die Krise schwer getroffen hat, mobil unterwegs.

WANN & WO: Was beschäftigt die jüngere Generation derzeit am meisten? Welche Emotionen und Gefühle sind Ihrer Auffassung nach am stärksten in Zeiten von Corona vertreten?

Miriam Auer: In meinen Augen beschäftigen sie die Einschränkungen der sozialen Kontakte, des Feierns und des Reisens am meisten. Die soziale, körperliche und persönliche Entwicklung wird sicherlich nicht erleichtert in dieser Zeit. Das Gefühl, allein zu sein, manifestiert sich mehr als zuvor. Einsamkeit, der Wunsch von Anerkennung, Eigeninitiative, die Sehnsucht nach körperlicher Nähe und Berührungen, das Gefühl, nicht krank zu sein, aber auch Hoffnung, Mut zur Veränderung, ein Umdenken, Hürden zu überspringen, neue Fähigkeiten und Talente zu entdecken, alle diese Emotionen sind Begleiter durch die Krise.

WANN & WO: Warum wird die jüngere Generation Ihrer Meinung nach mittlerweile als „Generation Corona“ bezeichnet?

Miriam Auer: Diese Bezeichnung klingt für mich sehr negativ und ich benutze sie wirklich nicht gerne. So etwas gab es in dieser Form noch nie. Eine Pandemie kennt man eigentlich nur aus der Geschichte, anderen Teilen der Welt, Filmen und Serien. Natürlich wird es die jungen Menschen in ihrer Entwicklung beeinflussen und sie werden damit leben müssen, jedoch glaube ich nicht, dass ich sie so bezeichnen würde. Sie sind unsere Zukunft und wir können ihnen Werte und Ziele vermitteln, damit diese nicht verlernt werden, ob es da draußen nun eine Pandemie gibt oder nicht. Jeder von uns, der mit jungen Menschen zu tun hat, sollte sich dessen bewusst sein. Corona können wir nicht verleugnen und ihnen auch nicht versprechen, dass so etwas in dieser Art nie wieder vorkommen wird. Doch wenn wir ihnen Mut, Zuversicht und Empathie vorleben und mitgeben, dann behaupte ich, da kann kommen was will, sie werden sich richtig entscheiden und vorbildlich handeln.

WANN & WO: Wie stehen Sie zum Thema „Schulschließungen“?

Miriam Auer: Grundsätzlich möchte ich mich nicht auf eine Pro- oder Kontra-Seite stellen, da ich dort nicht viel Einblick habe. Allerdings ist das „Homeschooling“ für viele Eltern, Kinder und Jugendliche sehr herausfordernd. Die Ergebnisse werden sich wohl erst im nächsten Halbjahr zeigen. Zudem wird viel Eigeninitiative sowie Engagement von den Eltern erwartet, doch oft fehlt einfach die Zeit aufgrund des Jobs, oder es gibt sprachliche Barrieren bei Eltern mit Migrationshintergrund.

WANN & WO: Wie erleben Sie den Umgang mit der Gefahr des Virus gerade bei jungen Menschen und wie denken Sie über „Corona-Partys“ unter Jugendlichen?

Miriam Auer: Ich finde, die jungen Menschen halten sich an die gesetzlichen Verordnungen und bemühen sich, alles richtig zu machen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber diese finden wir in jeder Altersschicht. Was wird denn als „Corona-Party“ definiert? Ein Treffen unter Freunden? Alkoholkonsum? Laute Musik? Eigentlich ist es für mich nur eine reißerische Schlagzeile, denn in meinem Umfeld sehe ich Jugendliche, die oft an ihre Grenzen stoßen und natürlich feiern wollen, aber sehr wohl auch wissen, dass es im Moment kein Thema ist.

WANN & WO: Was ist Ihre Meinung bezüglich des Themas „Social-Media und Verschwörungstheorien“ zu der Pandemie?

Miriam Auer: Verschwörungstheorien beherrschen die sozialen Medien, sei es jetzt während der Pandemie oder sonst eben über Extremismus, Rassismus, Hass und Angst. Für mich gibt es zu diesen Themen im Netz nur eines, nämlich Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu leisten, damit die Jugendlichen nicht alles für bare Münze nehmen und Dinge hinterfragen.

WANN & WO: Was ist Ihnen ein besonderes Anliegen für die „Generation Corona“?

Miriam Auer: Ich finde, die junge Generation leistet einen großen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie, was nicht unterschätzt werden darf. Sie bleiben zuhause, arrangieren sich großartig mit der Situation, übernehmen dadurch Verantwortung und zeigen Empathie für die Gesellschaft. Das ist nicht selbstverständlich für eine Generation, die sich normalerweise in der „Sturm und Drang“-Zeit befindet. Ich bin stolz auf unsere Jugend!

Statements

Noelia, 13, Feldkirch: „Im ersten Lockdown habe ich sehr viele Briefe geschrieben. Da die Leute mehr Zeit hatten und daheim waren, haben sie auch geantwortet. Wenn Freunde in Quarantäne waren, habe ich eine Schokolade verpackt und sie in den Postkasten geworfen. Ich finde, dass Kinder in der Corona-Krise ein bisschen vernachlässigt werden. Baumärkte zum Beispiel haben vor den Schulen und Spielplätzen aufgemacht. Bei uns haben die meisten aber keinen Garten. Ich denke, Freunde sehen zu dürfen ist ein Recht, aber in einer Pandemie muss wohl zuerst an Patienten gedacht werden.“

Julian, 17, St. Gerold: „Allzu lange könnte ich kaum darauf verzichten, mich mit mehr als zwei Personen treffen zu dürfen. Als Jugendlicher gehört es dazu, dass man in Gruppen unterwegs ist. Man kann sich nicht gesund entwickeln, wenn man ständig abgeschottet und isoliert ist. Längerfristig würde es auch nicht klappen, auf die Schule zu verzichten. Mein Tagesplan kommt durcheinander und ist unstrukturiert.“

Jana, 17, Schnifis: „‚Distance-Learning‘ im letzten Jahr meiner Ausbildung? Völlig undenkbar. Wie soll unsere Generation eine Gesellenprüfung ohne Praxisunterricht in der Schule bestehen? Wie sollen wir zielstrebig arbeiten? Wo bleibt der Ansporn für einen ausgezeichneten Erfolg? Meines Erachtens braucht es geöffnete Schulen, um den Rückhalt für die Auszubildenden zu stärken.“

Susanne, 15, Bregenz: „Als Schülervertreterin stehe ich an vorderster Front. Wir bieten Möglichkeiten an, um Feedback, konstruktive Kritik, Vorschläge und natürlich Fragen abzugeben. Dazu verwenden wir unterschiedliche Plattformen, um möglichst viele zu erreichen. Unsere sozialen Kontakte werden uns nicht komplett genommen, man muss nur mitdenken, das ist wichtig.“

Helena, 19, Rankweil: „Meiner Meinung nach verstärkt die Coronakrise bereits bestehende Generationenkonflikte. Auf der einen Seite werden Probleme nicht ernstgenommen oder verharmlost und negatives Verhalten bezüglich der Maßnahmen sofort der Jugend angelastet. Auf der anderen Seite verschwindet die Bereitschaft, sich weiterhin zurückzuhalten, wenn die Jugend nicht angehört wird. ‚Social Distancing‘ trifft die jüngere Generation um einiges härter, denn dieser Lebensabschnitt ist wichtig für die Entwicklung. Wir werden der ‚besten Zeit unseres Lebens‘ beraubt. Ich hoffe auf eine baldige Besserung, denn Sündenbocktheorien und Austragung von emotionalen Differenzen bringen uns jetzt nicht weiter.“

Max, 13, Nüziders: „Ich finde E-Learning anstrengend. Vor dem Computer zu sitzen, macht keinen Spaß, sondern richtig müde. Außerdem ist es stressig, wenn die Verbindung abbricht. Blöd ist, dass man sein Hobby nicht ausüben darf. Zurzeit bin ich in einem Skiverein, aber trainieren geht leider nicht.“

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(WANN & WO)

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