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Gefährliche Impfillusionen

©APA/dpa/Christoph Soeder
Gastkommentar von Johannes Huber. So lange nicht eine Mehrheit der Bevölkerung in etwa einem Jahr geimpft ist, gibt es Beschränkungen, die schwer zu ertragen sind. Auch für die, die sich impfen lassen. Leider.

Die Corona-Impfstoffe sind vielversprechend. Natürlich gibt es Nebenwirkungen. Nach heutigem Wissensstand dürften sie sich aber zum Beispiel auf Fieber oder Schüttelfrost beschränken und nach ein paar Tagen vorübergehen. Die Vorteile überwiegen: Zu bis zu 95 Prozent sollen sie gegen eine Corona-Erkrankung schützen. Und das ist in zu vielen Fällen keine Grippe, wie man sie kennt, sondern etwas Schlimmeres, das besonders bei Älteren auf die Intensivstation und zum Tod führen kann. Schon von daher empfiehlt die Vernunft, sich impfen zu lassen.

Von einem „Game Changer“ zu reden, sich zu freuen, dass bald alles vorbei sein wird und schon der nächster Sommer ein ganz normal werden wird, ist jedoch naiv oder dumm oder beides. Ein Blick auf die Einschätzungen der staatlichen Gesundheitsagentur AGES führt zu zwei Vorbehalten, die vernachlässigt werden und die daher umso verhängnisvoller werden könnten: Zum einen ist nicht bekannt, wie lange der Impfschutz anhält. Zum anderen ist offen, ob auch die Übertragung des Coronavirus unterbunden wird.

Spätestens hier müsste es klingeln: Wenn man geimpft ist, kann man im Falle einer Infektion zwar davon ausgehen, dass man nicht schwer erkrankt; man muss aber weiterhin damit rechnen, andere anzustecken. „Gut“, könnte man jetzt einwenden, „das ist mir egal.“ Gesamtgesellschaftlich bleibt es jedoch ein Problem, bis nicht die meisten Leute – und darunter vor allem auch Ältere und solche, die sonst schon irgendwie geschwächt sind - geimpft sind.

Selbst wenn fast alle Österreicherinnen und Österreicher bereit wären, sich impfen zu lassen, wird das dauern: In „die Breite“ gehen sollen die Programme erst ab dem zweiten Quartal des kommenden Jahres. Sind sie bis Ende 2021 erledigt, ist das schon eine große Leistung.

Was man bei alledem aber eben nicht vergessen darf, ist, dass das Coronavirus bleibt. Und dass sich mit jedem Kontakt, geschweige denn jedem Konzert, jeder Party und jedem Fußballspiel mit Publikum das Infektionsgeschehen wieder verstärken könnte. Der einzige Unterschied zu heute ist, dass die, die jeweils schon geimpft sind, nichts zu befürchten haben, alle anderen aber schon.

Vor diese Hintergrund wird es vorerst nicht einmal möglich sein, die Leute mit gewissen Privilegien zur Impfung zu motivieren. Motto: Wer sich impfen lässt, muss keinen Mund-Nasen-Schutz mehr tragen und darf sich wie in guten, alten Zeiten wieder in die Gesellschaft stürzen. Das geht erst dann, wenn für fast alle ein Impfstoff und ein Impftermin angeboten werden konnte. Und das wird eben erst frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2021 der Fall sein.

Bis dahin würde man durch eine Rückkehr zur Normalität auch Leute gefährden, die sich beim besten Willen noch nicht impfen lassen konnten; ganz einfach, weil die Kapazitäten dazu noch nicht vorhanden waren. Und das wiederum würde bedeuten, dass man nicht nur ihnen ein Erkrankungsrisiko zumuten würde, sondern damit auch Ärzten und Pflegerinnen in den Spitälern eine neuerliche Überlastung.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.

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