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Fußball eint das zerstrittene Bosnien

Der Fußball macht möglich, wozu die meisten Politiker im gespaltenen Bosnien-Herzegowina seit Jahren nicht in der Lage sind: Er eint.

Seitdem sich die bosnische Nationalmannschaft mit zwei Siegen gegen Belgien (4:2 in Genk und 2:1 in Zenica) binnen fünf Tagen in der WM-Qualifikationsgruppe 5 hinter Europameister Spanien auf Platz zwei festgesetzt hat, machen sich Fußballfans aller drei Volksgruppen – Serben, Bosniaken und Kroaten – in seltener Eintracht Hoffnungen auf eine Teilnahme an der WM-Endrunde 2010 in Südafrika.

Das ist in einem Land wie Bosnien-Herzegowina, das seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 in zwei “Entitäten”, die Bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik (Republika Srpska) geteilt ist, keine Selbstverständlichkeit. Bisher galt das Fußball-Nationalteam eher als eine Angelegenheit für Bosniaken (Muslime) und Kroaten, die Serben orientierten sich auch das runde Leder betreffend eher nach Belgrad. Doch nun ergab die Umfrage einer lokalen Radiostation, dass der Erfolgsrun der bosnischen Auswahl, die an sich den Gesamtstaat repräsentiert, selbst in der “Republika Srpska” mit wohlwollendem Interesse verfolgt wird.

Sein Schärflein dazu beigetragen hat auch der seit Sommer 2008 amtierende Teamchef Miroslav “Ciro” Blazevic. Er war im Dezember geradezu demonstrativ in die Republika Srpska gereist, um in Banja Luka dem bosnisch-serbischen Ministerpräsidenten Milorad Dodik ein Teamtrikot zu überreichen. Er wollte ihn mit seinem Besuch auch bewegen, öffentlich seine Unterstützung für die Nationalmannschaft Bosnien-Herzegowinas unter Beweis zu stellen.

Gerade Dodik hatte in der jüngsten Vergangenheit den Gesamtstaat mehrmals infrage gestellt und sogar die Drohung eines Unabhängigkeitsreferendums der Republika Srpska in den Raum gestellt. Blazevic aber forderte ihn auf, doch Anfang September beim vielleicht vorentscheidenden Heimspiel in der WM-Qualifikation ins Stadion zu kommen. Da geht es gegen die Türken, die schärfsten Konkurrenten um Platz zwei. “Das wäre eine Geste der Versöhnung”, wurde Blazevic von lokalen Zeitungen zitiert. Zudem stellte er in Aussicht, dass das Team künftig auch in der Republika Srpska Matches austragen könnte.

Der 74-Jährige bekam auch gleich einen Spitznamen verpasst. Er sei für Bosnien ein neuer “Tito”, hieß es in der kroatischen Zeitung “Slobodna Dalmacija”. Wobei der Vergleich mit Josip Broz, dessen kommunistisches Machtgefüge über Jahrzehnte den Vielvölkerstaat Jugoslawien zusammenhielt, in Bezug auf Blazevic geradezu grotesk anmutet. Unter “Tito” hatte Blazevic nach eigenen Angaben eine Verhaftung befürchten müssen, weil er aus seiner kroatisch-nationalistischen Gesinnung kein Hehl machte. Er flüchtete in den 1960er-Jahren in die Schweiz, wo er als Fußballer und Trainer Karriere machte und auch die eidgenössische Staatsbürgerschaft verliehen bekam.

Während und nach dem Zerfall Ex-Jugoslawiens engagierte sich Blazevic Anfang der 1990er Jahre in Kroatien für den Staatsgründer und ersten Präsidenten Franjo Tudjman, dessen Erbe er im Jahr 2005 sogar antreten wollte. Er kandidierte für das Amt des Staatspräsidenten, wobei er durch höchst exponierte Positionen bezüglich des damals noch vom UNO-Kriegsverbrechertribunal gesuchten kroatischen Ex-Generals Ante Gotovina auffiel. Der später festgenommene General war lange Zeit der Stolperstein Kroatiens auf dem Weg der Annäherung an die EU gewesen.

Allein mit nationalistischem Gehabe war aber selbst für Blazevic, der Kroatien 1998 als Teamchef bei der WM-Endrunde in Frankreich zu Platz drei geführt und damit höchste Popularität gewonnen hatte, freilich kein Staat zu machen. Er kam als Vertreter der “Partei der Verteidiger Kroatiens” gerade auf 17.823 oder 0,80 Prozent der Stimmen.

Vielleicht aber verkörpert Blazevic wie kaum ein anderer die verwirrenden Widersprüche, die es manchem Fußball-Fan schwer machen, den Balkan wirklich zu durchblicken. Denn eigentlich stammt Blazevic ohnehin aus Bosnien. Als ethnischer Kroate war er in Travnik groß geworden, und glaubt man lokalen Medien mutierten seit den Erfolgen der Nationalmannschaft die dort befindlichen Gräber seiner Eltern zu einer Art Pilgerstätte.

Während des Bosnien-Krieges (1992 – 95) hatte er freilich nicht nur zu den Serben ein gespanntes Verhältnis, auch unter den Bosniaken machte er sich mit Aussagen wie “Gottseidank ist meine Frau keine Muslimin” Feinde. Daher warnte ihn seine tatsächliche Ehefrau im Vorjahr eindringlich davor, den Job des Nationaltrainers von Bosnien-Herzegowina anzunehmen. Sie fürchtete wegen der Äußerungen aus jener Zeit um nicht weniger als um sein Leben.

Das scheint nunmehr aber offenbar kein Thema zu sein. Ausgerechnet der kroatische Eiferer Blazevic gilt als Herold der Versöhnung und zumindest so lange Bosnien-Herzegowina sich berechtigte Hoffnungen machen kann, in einem Entscheidungsspiel gegen einen anderen Gruppenzweiten um einen WM-Platz rittern zu dürfen, wird sein Team als zukunftsträchtiges Vorzeigestück einer multiethnischen Gesellschaft gehandelt werden.

Selbst der seit Ende März in Sarajevo als internationaler Bosnien-Beauftragter amtierende österreichische Spitzendiplomat Valentin Inzko hatte vergangene Woche nach dem Match-Besuch im Stadion von Zenica lobende Worte gefunden: “Das ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie Bosnien-Herzegowina mit vereinten Kräften erfolgreich sein kann.”

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