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Friede in Ottakring: "War nur ein Fußballspiel"

Mit Gelassenheit begegneten die meisten Türken und Kroaten den Ausschreitungen in Ottakring am Tag danach.

“Herzkirschen, süße Herzkirschen, meine Herrschaften”, rief ein türkischer Obstverkäufer gegen Mittag aus seinem Stand am Brunnenmarkt und feilschte mit einer jungen Studentin um den Kilopreis. Dem samstäglichen Treiben in dem Multikulti-Grätzel war nicht zu entnehmen, dass das Viertel wenige Stunden vorher noch von Polizeikräften abgeriegelt worden war, um Krawalle zu verhindern. “Da war ja nix”, meinte der Standler mit breitem Zahnlückengrinsen. “Uns sind einfach die Emotionen durchgegangen, aber beide Seiten waren friedlich”, kam ihm sein Sohn Ömer zu Hilfe.

“Wir verstehen uns gut mit den Kroaten in Ottakting. Gestern, das war ja nur das eine Mal, ein Spiel eben”, beteuerte ein 28-jähriger Gemüseverkäufer, während er lässig ein paar Zwiebel in ein Plastiksackerl jonglierte. Von den Festnahmen habe er nichts gehört. “Das waren sicher nur Betrunkene”, war er überzeugt. Der gleichen Meinung waren auch drei Kroaten, die extra wegen der EURO von Rijeka nach Wien gekommen waren und noch sichtlich gezeichnet waren von der durchfeierten Nacht. “Wir haben verloren, die Türken gewonnen, da gab’s halt auf beiden Seiten Aufregung”, sagte einer der Männer in rot-weiß-kariertem T-Shirt. “Ein paar Verrückte sind immer dabei”, meinte er über seine gewalttätigen Landsleute.

Eine 34-jährige Wienerin wunderte sich, “dass da nicht mehr Verwüstung ist”. Dass es nun Spannungen zwischen Türken und Kroaten geben könnte, glaubt sie nicht. “Wegen einem Abend wird sich da nichts ändern.” Auch vier Pensionisten in einem Straßenlokal auf dem Yppenplatz gaben sich tolerant. “Gefeiert haben’s ordentlich, es war laut und viele Leute vor meiner Tür”, erzählte ein 67-Jähriger, der in der Veronikagasse wohnt. “Ich bin dann auch raus auf die Straße, um eine Zigarette zu rauchen”, berichtete der Mann, dem die Mega-Party gut gefallen hat. “Man kann sich wirklich nicht beschweren, die Kroaten und die Türken waren einfach aus dem Häuschen”, schloss sich seine Frau an.

Auch auf der Ottakringer Straße, gab es am “Tag danach” keinen Hinweis auf die Krawalle am Vorabend. Die Straßencafés waren gegen Mittag nur spärlich besucht, die kroatischen Fußballanhänger wohl noch nicht erwacht. “Die ersten 90 Minuten waren zum Einschlafen, aber dann war die Hölle los”, berichtete ein junger Kosovare, der mit seinem Freund in einer Bar einen Energydrink schlürfte und in der Nacht mitten im Geschehen war. Friedlich sei es dennoch gewesen, “nur mit ein wenigen ist die Mentalität durchgegangen”, kommentierte er.

“Es war nur blöd, dass uns die Polizei nicht mehr auf die Ottakringer Straße gelassen hat”, sagte ein Kroate, der seit zehn Jahren in Frankfurt am Main lebt und während der EM bei Freunden in Wien zu Gast ist. “Wir wollten auch mitfeiern”, ärgerte er sich. Er habe mitbekommen, wie Beamte mit Flaschen beworfen wurden. “Das war doch harmlos, es war trotzdem ein Fair Play”, sagte sein Freund aus Zagreb, der im Café Aurora ein “Reparatur-Seidel” zu sich nahm.

“Die leben schon so lange nebeneinander und miteinander, da ändert eine Nacht nichts daran”, meinte eine Anrainerin.

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