Franzobels drastische "Liebesgeschichte"
Franzobels Liebesgeschichte wird etwa von Zsolnay als Roman wie eine sanftmütige Ballade einer Heavy-Metal-Band angekündigt. Bei der Lektüre wirkt er dagegen mehr als psychedelischer Drogentraum eines außer Rand und Band geratenen Minnesängers. Am 30. August liest der Autor im Rahmen der O-Töne im Wiener Museumsquartier.
Was pflegt die betrogene Ehefrau im Furor der Abrechnung zu ihrem Gatten zu sagen? Regeln gibt es dafür keine, bei Franzobel sagt sie: Ich habe dich geliebt, Alexander Gansebohn. Doch du hast meine Liebe beiseitegeschoben und getreten. Du Schuft! Ich habe um deine Liebe gekämpft, habe darum gerungen, aber jetzt habe ich begriffen, dass du mich nicht mehr verehrst, nicht respektierst, nicht liebst. Ich bin sehr einsam. Sehr.
Marie Gansebohn ergreift drastische Mittel, um ihren Mann zurückzugewinnen: Sie täuscht vor, sich mitsamt den beiden kleinen Töchtern aus dem Fenster gestürzt zu haben. Doch das ewige, quälende Diktum ihres Mannes Da kennst du deinen Alexander aber schlecht! bewahrheitet sich nun: Alexander stürmt nach dem kurzen Blick aus dem Fenster gar nicht nach unten (wo er statt der zerschmetterten Familie ein paar mit Kleidungsstücken drapierte Schuttsäcke vorgefunden hätte), sondern direkt zu Dunja, seiner Geliebten.
Mit diesem drastischen Auftakt eröffnet Franzobel einen Parforceritt durch zeitgenössisches Liebesleid und -leben, bei dem sich der Autor ordentlich vergaloppiert. Sprachlich wie inhaltlich verfängt er sich schließlich rettungslos im Dornengestrüpp. Der in Wien lebende Oberösterreicher, der 1995 den Bachmann-Preis erhalten und sich in jüngster Zeit im Hausruck mit den Stücken Hunt und Zipf (2009 soll Lenz die Trilogie vollenden) als politischer Dramatiker einen Namen gemacht hat, begann seine Karriere als Sprach-Experimentator. Als Prosa-Autor hat er seit Böselkraut & Ferdinand seine Vorliebe für Skurriles und Abseitiges gepflegt, in Scala Santa oder Josefine Wurzenbachers Höhepunkt, Lusthaus oder Die Schule der Gemeinheit und Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik barocker Üppigkeit gehuldigt, und skurrile Einfälle mit fantasievollen Wortgirlanden verbunden. Diesmal scheint Franzobel jedoch übertrieben zu haben. Beim Leser stellt sich jedenfalls rasch Völlegefühl ein.
Dem vorgetäuschten Selbstmord folgt reichlich turbulentes, drastisches Geschehen: Vergewaltigung und Eifersuchtsmord, Trickbetrug und Wohnungseinbruch, Snuff-Video-Dreh und Hochstapelei, Gruppensex-Orgie mit minderjährigen Prostituierten und Sodomie mit einer Dänischen Dogge. Franzobel beweist ziemlichen Einfallsreichtum beim Versuch, die allseitige verzweifelte Suche nach Liebe ohne Rücksicht auf Opfer zu schildern, wirkt aber dabei mehr burlesk als radikal. Selbst wenn ein Bombenattentat im Wurstelprater, bei dem Dunja getötet wird (Hätten die Beine nicht gefehlt, man hätte denken können, sie sei unverletzt) für Menschen-Gulasch sorgt, geht das nicht an die Nieren, sondern schlägt höchstens auf den Magen.
Immerhin findet Alexander nach Lektüre des Bekennerschreibens (dessen Inhalt man nicht erfährt) einen neuen Lebenssinn: Nun wusste er, was zu tun war: Terrorist werden. Als Alexander ganz am Ende des Buches durch einen Anruf von Marie erfährt, dass sie am Leben ist, sitzt der Möchtegern-Terrorist bereits in einem Gefängnis in Jerusalem, verhaftet von Hauptmann Longinus, und wundert sich, dass sie ihm verzeiht. Sie hat sich befreit, denn sie liebt ihn nicht mehr. – Beim Zuklappen fällt der Blick des Lesers auf das Motto des Buches: Der Menschen Fähigkeit zum Selbstbetrug ist außerordentlich. Das gilt in diesem Fall möglicherweise auch für Franzobel.