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Flüchtlingswahlkampf 2.0

©APA/GEORG HOCHMUTH (Sujet)
Gastkommentar von Johannes Huber. Sebastian Kurz inszeniert die Auseinandersetzung eines „christlich-jüdisch-aufklärerisch geprägten Europas“ gegen den Islam. Das ist nicht nur befremdlich, sondern auch brandgefährlich.

Wer geglaubt hat, dass sich die Politik nach dem Ende der Flüchtlingskrise endlich auf Zukunftsfragen wie Klimawandel, Bildung, Pflege und Pensionssicherung konzentrieren könnte, hat sich ganz schön getäuscht. Sicher, das eine oder andere wird gestreift. Wirklich ernsthaft wird‘s dabei jedoch selten. Zu wenig ist damit zu holen. Vor allem für Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP): 2017 hat er mit seinen Antworten auf die Flüchtlingskrise triumphiert. „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ sowie „Schließung von Balkan- und Mittelmeerrouten“ haben ihm sehr viel Zuspruch beschert. 2019 lässt sich das nicht mehr eins zu eins wiederholen. Also muss Kurz das Thema adaptieren. Wie? So: Kurz inszeniert eine Auseinandersetzung eines „christlich-jüdisch-aufklärerisch geprägten Europas“ gegen den Islam.

Befremdlich ist zunächst einmal, wie unsicher der ÖVP-Chef selbst im Umgang mit dem Religiösen ist. Zum Ausdruck gekommen ist das durch seinen Auftritt bei den sektierenden Leuten in der Wiener Stadthalle, von denen er sich nicht nur bejubeln, sondern öffentlich ins Gebet miteinschließen und letzten Endes von einem Prediger namens Ben Fitzgerald auf offener Bühne auch noch segnen ließ. Hinterher gestand er, wie unangenehm ihm das Ganze gewesen sein will. Was verständlich ist: Der erste Versuch, den Wahlkampf über die christliche Szene aufzuziehen, ist nach hinten losgegangen. Nicht wenige Gläubige hat das angewidert. Caritas-Präsident Michael Landau erinnerte Kurz an das Gebot des Matthäus-Evangeliums, im stillen Kämmerlein zu beten: Von einer Inszenierung in einer vollbesetzten Stadthalle steht da aus guten Gründen gar nichts.

Wirklich bereut hat Kurz das jedoch nicht. Im Wahlkampf will er mehr denn je ein „christlich-jüdisch-aufklärerisch geprägtes Europa“ propagieren, das durch Muslime gefährdet sein soll. Das Kalkül dahinter ist klar: So etwas wirkt für sehr viele Wähler beängstigend und beruhigend zugleich. Kurz skizziert zum einen eine Bedrohung und bietet sich zum anderen gleich auch selbst als Retter an. Womit er bei diesen Wählern eigentlich nur gewinnen kann.

Befremdlich ist dabei dieser Hinweis auf ein „christlich-jüdisch-aufklärerisch geprägtes Europa“. Was, bitte, ist das? Was heißt hier christlich-jüdisch? Europäische Geschichte ist die Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung von Juden. Wobei das ganz besonders auch unter dem Deckmantel der Religion erfolgt ist. Womit wir beim Christentum angelangt wären, das diesbezüglich Schuld auf sich geladen hat. Christlich-jüdisch ist so gesehen ein Widerspruch.

Die Aufklärung in einem Atemzug damit zu nennen, ist überhaupt Dings: Sie diente der Überwindung einer Gesellschaft, die alles von einem Göttlichen ableitet. Nicht zufällig hat sie daher zum Beispiel Menschen- und keine Christenrechte hervorgebracht.

Bei dem „Christlich-Jüdisch-Aufklärerischen“ von Kurz fehlt im Übrigen ganz bewusst dies: der Islam. Selbstverständlich gehört auch er zu Europa. Davon weiß jeder Spanien-, Balkan- und Sizilienurlauber zu berichten, der ein bisschen kulturinteressiert ist. Und das haben in Österreich auch schon die Habsburger respektiert, wie das Islamgesetz aus dem Jahre 1912 bezeugt. Es heute zu ignorieren ist umso bemerkenswerter, als rund zehn Prozent der Bevölkerung Muslime sind: Sie werden pauschal ausgegrenzt – und in Verbindung mit „politischem Islam“ zu Feinden der Gesellschaft erklärt. Womit weitere Konflikte erst recht vorprogrammiert sind.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zu Politik

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