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Fast ein Drittel weniger antisemitische Vorfälle im ersten Halbjahr gemeldet

Zahlreiche antisemitische Vorfälle wurden der Antisemitismus-Meldestelle der IKG binnen eines Halbjahres gemeldet. Im Bild: IGK-Präsident Oskar Deutsch.
Zahlreiche antisemitische Vorfälle wurden der Antisemitismus-Meldestelle der IKG binnen eines Halbjahres gemeldet. Im Bild: IGK-Präsident Oskar Deutsch. ©APA/HERBERT NEUBAUER (Symbolbild)
Im ersten Halbjahr 2022 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IGK) gegenüber den ersten sechs Monaten 2021 deutlich weniger antisemitische Vorfälle gemeldet. Die Zahl sank um fast ein Drittel.
Neuer Höchststand bei Antisemitismus

Vom 1. Jänner 2022 bis 30. Juni 2022 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien insgesamt 381 antisemitische Vorfälle gemeldet. Im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres (562) ist das ein Rückgang um 32 Prozent. Dieser Rückgang sei vor allem auf die Abnahme antisemitischer Vorfälle mit Coronabezug zurückzuführen, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. Von einer höheren Dunkelziffer ist auszugehen.

Minus bei gemeldeten antisemitischen Vorfällen

Mit 219 Meldungen handelte es sich bei dem Großteil der Vorfälle um "verletzendes Verhalten", gefolgt von 82 Massenzuschriften, 61 Meldungen zu Sachbeschädigung, 12 Bedrohungen und sieben Angriffen. Die meisten Vorfälle wurden im Jänner (91) gemeldet, danach sank die Zahl auf 50 bis 60 Meldungen pro Monat ab. Im Mai flackerte die Zahl erneut auf (72) was laut dem Bericht auf den palästinensisch-israelischen Konflikt zurückzuführen sei. In diesem Zusammenhang sei es nötig, nach wie vor mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Juden und Jüdinnen nicht für politische Maßnahmen einer israelischen Regierung verantwortlich zu machen seien, kommentierte SPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Bayr. "Wenn vermeintliche Sippenhaftung zu Anfeindungen, verbalen Attacken und gar körperlichen Übergriffen führt, dann haben wir es mit handfestem Antisemitismus zu tun - dies müssen wir immer wieder klar machen!"

Gemeldete antisemitische Vorfälle teils mit Pandemie-Bezug

Von den 381 gemeldeten Vorfällen standen 66 in Bezug zur COVID-19-Pandemie. Bei 96 handelte es sich um Shoah-Relativierung, 123 Mal um israelbezogenen Antisemitismus. 56 Mal waren antisemitische Verschwörungsmythen Anlass für eine Meldung bei der IKG.

316 Fälle konnten ideologisch eindeutig zugeordnet werden, so der Bericht. Mehr als die Hälfte (201) der Vorfälle seien von politisch rechter Seite gekommen, 81 von "links" und 34 waren "muslimisch". Vor allem bei Angriffen und Bedrohungen überwiegen muslimisch motivierte Täter, bei Sachbeschädigungen und verletzendem Verhalten hingegen Diskriminierung von rechts.

"Bei näherer Betrachtung zeigen sich besondere Probleme"

"Der Rückgang der Gesamtzahl gemeldeter Vorfälle ist erfreulich. Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber besondere Probleme, denn die Zahl der Bedrohungen und physischen Übergriffe ist weiter auf dem hohen Vorjahresniveau. Wir sehen aber heute, dass die Mitte der Gesellschaft die Gefahr des Antisemitismus ernst nimmt und wichtige Impulse zur Trendumkehr setzt. Daher werden wir mit allen Partnern in Zivilgesellschaft, Behörden und Politik weiterarbeiten, um den Antisemitismus in Österreich weiter zurückzudrängen", kommentiert IKG-Präsident Oskar Deutsch den Bericht. Auffällig und beunruhigend sei aber weiterhin die Überrepräsentation von verbalen und physischen Übergriffen gegen - als jüdisch erkennbare - Kinder und Jugendliche.

Nationale Strategie gegen Antisemitismus mit Maßnahmen

Die niedrigere Zahl an gemeldeten Übergriffen werten sowohl Benjamin Nägele, Leiter der Meldestelle und Generalsekretär der IKG Wien, als auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) als Ergebnis politischer Maßnahmen. Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus enthält Maßnahmen zum Schutz von Juden und Jüdinnen und wird jährlich evaluiert. Einen Bericht dazu präsentiert die Bundesregierung voraussichtlich im Jänner 2023. "Der Rückgang von antisemitischen Vorfällen im ersten Halbjahr 2022 ist eine positive Nachricht, wir dürfen sie aber nicht als Entwarnung verstehen", so Edtstadler in einer Aussendung am Donnerstag.

FRA: Antisemitische Vorfälle in Europa lückenhaft dokumentiert

In Europa werden antisemitische Vorfälle aus Sicht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) nach wie vor nur lückenhaft dokumentiert. Ohne korrekte Daten sei die wirksame Bekämpfung antisemitischer Vorfälle schwierig, sagte FRA-Direktor Michael O'Flaherty am Donnerstag in Wien. "Es ist höchste Zeit, dass die EU-Länder ihre Bemühungen verstärken, die (...) Erfassung zu verbessern, damit Hass und Vorurteile gegenüber Juden besser bekämpft werden können."

Nationale Strategien gegen Antisemitismus nicht überall

Nur 14 der 27 EU-Länder verfügten über nationale Strategien gegen Antisemitismus, hieß es. Ungarn und Portugal registrierten solche Fälle überhaupt nicht offiziell. Einige Staaten hätten allerdings nun zumindest entsprechende Pläne.

Grundsätzlich falle auf, dass die Corona-Pandemie und auch der Ukraine-Krieg antisemitische Tendenzen unter anderem durch Verschwörungstheorien befördert hätten. Gerade die Verbreitung von Hasspostings im Internet spiele eine wichtige Rolle. In Deutschland hätten sich 2021 rund 3.000 Straftaten mit mutmaßlichem antisemitischem Hintergrund ereignet, teilte die Agentur unter Berufung auf deutsche Behörden mit. Im Vorjahr lag die Zahl bei 2.351.

(APA/Red)

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