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"Fall Mirel": Nach Freispruch werden Ermittlungspannen evident

Fall Mirel: Beim Prozess in Wien
Fall Mirel: Beim Prozess in Wien ©APA
Am Donnerstag endete der Prozess gegen einen 45-jährigen Kosovo-Albaner in Wien mit einem - nicht rechtskräftigen - Freispruch. Der Mann stand unter dem Verdacht, im April 1999 in Wien-Favoriten den 13 Monate alten Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin zu Tode gequält zu haben. Nun hat sich deutlich gezeigt, dass bei den seinerzeitigen Ermittlungen zum Fall Mirel "gepatzt" worden war.
Bilder vom Prozess
Urteil lautet Freispruch
Angeklagter nicht geständig
Auftakt zum Verfahren

Unter anderem ließ der für den “Fall Mirel” zuständige, mittlerweile pensionierte Staatsanwalt den Tatverdächtigen Ramiz K. über Jahre hinweg mit nationalem Haftbefehl suchen, obwohl der Mann wenige Stunden, nachdem Mirel mit 30 Knochenbrüchen, einem Schädel-Hirn-Trauma und weiteren Misshandlungsspuren in bereits bewusstlosem Zustand im Preyer’schen Kinderspital aufgenommen worden war, von der Bildfläche verschwunden war und sich ins Ausland abgesetzt hatte. Es war nahe liegend, dass der Mann, der erst 1998 in Folge der Kriegswirren im ehemaligen Jugoslawien nach Österreich geflüchtet war, sich zurück in seine Heimat begeben hatte.

Suche mit falschem Haftbefehl

Dass er mit dem falschen Haftbefehl gesucht wurde, fiel der Justiz erst auf, als die junge Staatsanwältin Andrea Kain den Fall übernahm. Diese sorgte umgehend dafür, dass ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde.

Nur wenig später wurde der Mann im Kosovo gefunden, wo er – entgegen ursprünglicher Medienberichte – unter seinem richtigen Namen als Busfahrer arbeitete und eine Familie gegründet hatte. Für den 45-Jährigen klickten die Handschellen, er wurde an Österreich ausgeliefert und am Donnerstag von einem Schöffensenat (Vorsitz: Stephanie Öner) im Straflandesgericht im Zweifel von sämtlichen wider ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen.

Fall Mirel: Mutter wurde Glauben geschenkt

Die Anklagebehörde hat noch nicht entschieden, ob sie diese Entscheidung bekämpfen wird. Klar ist allerdings, dass man seinerzeit im Verfahren gegen die Mutter des ums Leben gekommenen Buben ihre Schilderungen für zu bare Münze genommen hatte. Die Frau, die im August 1999 lediglich als Beitragstäterin zu fünf Jahren unbedingter Haft verurteilt wurde, hatte in ihrem Prozess tränenreich erklärt, sie habe bei ihrem Sohn “blaue Flecken” bemerkt, die sie ihrem verschwundenen Lebensgefährten zuschrieb, und “weggeschaut”.

Im Verfahren gegen Ramiz K. wies der Gerichtsmediziner Johann Missliwetz nun allerdings nach, dass der Mann für die Hälfte der Misshandlungen, die Mirel erdulden musste, gar nicht verantwortlich sein konnte. Anhand des Alters der Verletzungsspuren zeigte sich nämlich, dass diese dem Kleinkind teilweise zu einem Zeitpunkt zugefügt worden waren, als Ramiz K. noch gar nicht mit der Mutter liiert und in ihre Wohnung gezogen war.

Auch DNA-Analyse unterblieb

Bei den Ermittlungen im “Fall Mirel” sind zudem einerzeit auch Beweisstücke nicht entsprechend beachtet worden, die mittels einer DNA-Analyse womöglich die Frage eindeutig klären hätten können, wer für das Ableben des Kindes als unmittelbarer Täter verantwortlich war. Diese Unterlassung erstaunt insofern, als der “Fall Mirel” just vom selben Staatsanwalt bearbeitet wurde, der dank “Kommissar DNA” die Favoritner Mädchenmorde aus den Jahren 1988 und 1990 klären konnte.

Nach dem Tod des 13 Monate alten Buben am 14. April 1999 und der Festnahme der Mutter in deren Wohnung war eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, bei der ein blutiger Männer-Slip sowie ein Strampelanzug und ein Babypyjama mit Blutflecken entdeckt wurden. Eine Blutgruppen-Bestimmung wurde durchgeführt. Es wurde aber nicht für nötig befunden, das Beweismaterial auf DNA-Spuren zu untersuchen oder zumindest aufzubewahren, um es später einer Analyse zuzuführen.

Vergleich mit anderem Fall

Die DNA-Analyse steckte damals in Österreich zugegebenermaßen noch in den Kinderschuhen. Spricht man allerdings mit erfahrenen Gerichtsmedizinern, verweisen diese auf den Fall Nicole Strau. Das zum Tatzeitpunkt achtjährige Mädchen war im Dezember 1990 in Wien-Favoriten ermordet worden, und bereits damals wurde Beweismaterial in die Schweiz geschickt, weil es dort ein Verfahren gab, bei dem zusätzlich zur Blut-Analyse schon DNA-Parameter gewonnen werden konnten. Manche Staatsanwälte hätten seinerzeit jedoch vor Anordnungen in diese Richtung aus Kostengründen zurückgeschreckt, hieß es am Freitag gegenüber der APA.

Als am 1. Oktober 1997 auch in Österreich die DNA-Datenbank in Betrieb genommen wurde, wurde die DNA des Mörders von Alexandra Schriefl als Erste aufgenommen, die dieser am Körper der im Oktober 1988 ebenfalls in Wien-Favoriten ermordeten jungen Verkäuferin hinterlassen hatte. Diese biologischen Spuren waren aufbewahrt worden und sollten so lange gesichert werden, bis sie mit einem Tatverdächtigen abgeglichen werden konnten.

Als es im September 2000 einen solchen konkreten Tatverdächtigen gab, ließ sich dank der getroffenen Vorkehrungen der Fall Schriefl mittels DNA-Analyse klären. Das sichergestellte Beweismaterial passte zum Mundhöhlenabstrich des Verdächtigen, der Mann wurde wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. “Kommissar DNA” überführte schließlich auch den Mörder von Nicole Strau, der im Dezember 2003 lebenslang erhielt.

Staatsanwalt patzte auch hier

Weshalb im “Fall Mirel” keine DNA-Untersuchung der blutigen Kleidung angedacht bzw. angeordnet wurde, nimmt insofern wunder, als diesen Fall derselbe – mittlerweile pensionierte – Staatsanwalt bearbeitete, der die Favoritner Mädchenmorde mit Akribie und Umsicht betreut und erfolgreich abgeschlossen hatte. Aus welchen Gründen im Fall der tödlichen Kindesmisshandlung die Textilien nicht auf biologische Spuren untersucht wurden, obwohl es mit Ramiz K. einen konkreten Tatverdächtigen gab und das Verfahren gegen den Kosovo-Albaner zu keinem Zeitpunkt abgebrochen war, ließ sich am Freitag bei den Justizbehörden nicht klären.

Fest steht, dass – zumindest laut Aktenlage – niemals eine DNA-Analyse angeordnet wurde, um die unmittelbare Täterschaft im Fall des zu Tode gequälten 13 Monate alten Buben zu klären. Ob das blutige Gewand überhaupt noch vorhanden ist, ist fraglich. Die Wiener Rechtsanwältin Christine Wolf, die den gestern, Donnerstag, freigesprochenen Ramiz K. vertritt, geht davon aus, dass es nach der rechtskräftigen Verurteilung der Kindesmutter Ende August 1999 vernichtet wurde. Selbst wenn es noch existiert, wäre das heute irrelevant: Kindesmisshandlung mit Todesfolge verjährt nach zehn Jahren. Damit bleibt – sollte der Freispruch für Ramiz K. in Rechtskraft erwachsen – Mirels Tod ungesühnt, zumal die Mutter seinerzeit nur als Beteiligungstäterin für bloßes “Wegschauen” rechtskräftig abgeurteilt wurde.

(apa/red)

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