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Faktencheck zu Urteil über angeblich falscher Definition für bestätigte Corona-Fälle

Laut einem fraglichen Urteil der Verwaltungsgerichts Wien ist die Definition der bestätigten Corona-Fälle falsch.
Laut einem fraglichen Urteil der Verwaltungsgerichts Wien ist die Definition der bestätigten Corona-Fälle falsch. ©APA (Sujet)
Aktuell sorgt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien über die Untersagung einer FPÖ-Versammlung im Jänner für Aufregung. Vor allem die Begründungen des Richters für seine Entscheidung, dass die Veranstaltung stattfinden hätte sollen, sind brisant. Ein Faktencheck ergibt: Er führt teils widerlegte Falschbehauptungen und unbelegte oder irreführende Informationen an und belegt sie mit fragwürdigen Quellen.
Gericht: Definition für bestätigte Corona-Fälle falsch

Zu überprüfende Informationen: Mehrere gängige und in der Corona-Krise grundlegende Annahmen zur Wirksamkeit von Schutzmasken, Definition von Corona-Infizierten, PCR-Tests und Infektiosität sind laut einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien nachweisbar falsch.

Einschätzung: Es handelt sich bei den Behauptungen in der Entscheidung großteils um falsche, unbelegte oder irreführende Informationen. Laut einem Verwaltungsjuristen hat das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien methodische Mängel.

Überprüfung:

In der Entscheidung geht es um eine untersagte FPÖ-Versammlung am 31. Jänner 2021. Der APA liegt das Dokument vor. Kritisiert wird darin unter anderem, dass weder das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) noch der Gesundheitsdienst der Stadt Wien Versuche unternommen hätten, mit der Beschwerdeführerin Kompromisse und Alternativen zu suchen, etwa einen anderen Versammlungsort. Die Einhaltung der Seuchenbestimmungen werde der Partei aus einem "Misstrauen" heraus gar nicht erst zugetraut. Darüber hinaus würde die Untersagung zur Eskalation beitragen und Spontanversammlungen befeuern. Dieses Argument war auch öfter von der FPÖ selbst vorgebracht worden. "Eine Abwägung von kollidierenden Grundrechtspositionen" dürfe nicht per se zu einer gänzlichen Untersagung führen, heißt es in der Entscheidung.

Schutzwirkung von FFP2-Masken

In dem insgesamt 13-seitigen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien werden danach einige falsche, irreführende oder unbelegte Behauptungen angeführt. So wird etwa behauptet, dass "der peer review für die Schutzwirkung" von FFP2-Schutzmasken uneinheitlich sei und durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die EU-Kommission negativ in Hinblick auf die Vorteile der Schutzwirkung beantwortet sei.

Die WHO empfiehlt das Tragen von Masken als Teil einer umfassenden Strategie. Vor allem Gesundheitspersonal, das Covid-19-Patienten betreut, sollte partikelfiltrierende Halbmasken (FFP-Masken) tragen, um sich zu schützen. FFP2-Masken filtern mindestens 94 Prozent der Aerosolpartikel. Es gehört nicht unbedingt zu den primären Aufgaben der EU-Kommission die Schutzwirkung von FFP2-Masken zu beurteilen, dementsprechend findet sich auch wenig dazu. Laut dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) aber haben FFP2-Masken eine bessere Filterleistung als einfache medizinische Masken (MNS). Bei der Frage, ob diese Masken in der breiten Bevölkerung getragen werden sollten, scheint die Studienlage widersprüchlich zu sein.

Keine Belege gib es dafür, dass eine der beiden Institutionen die Masken aufgrund ihrer Schutzwirkung negativ sehen würde. Es gibt zudem mittlerweile zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit von Masken in der Corona-Pandemie belegen, wie sich in Faktenchecks von APA und dpa detailliert nachlesen lässt. Eine Metaanalyse von "The Lancet" von Juni 2020 etwa kam zu dem Schluss, dass die Verwendung von Gesichtsmasken zu einer starken Verringerung des Infektionsrisikos führen kann. Noch stärker zeigte sich der Effekt demnach bei N95-Masken. Diese sind gleichwertig mit FFP2-Masken.

Einer im Oktober 2020 veröffentlichten japanischen Studie der "American Society for Microbiology" zufolge haben sowohl Stoffmasken als auch OP-Masken und N95-Masken eine schützende Wirkung in Bezug auf die Übertragung infektiöser Tröpfen bzw. Aerosole von SARS-CoV‐2. Die N95-Maske war dabei die sicherste.

Covid-19-Begriffe

Der Gesundheitsdienst der Stadt Wien verwende laut dem Erkenntnis etwa in seiner "Information aus gesundheitlicher Sicht", also in seiner Einschätzung zur Gefahr der Verbreitung von Covid-19 bei Versammlungen, Begriffe, die "einer wissenschaftlichen Beurteilung der Seuchenlage nicht gerecht" werden würden. Sie stünden auch nicht im Einklang mit den Richtlinien der WHO.

Als Beleg dafür führt der Richter eine Informationsnotiz der WHO von 20. Jänner 2021 an, die in der Vergangenheit schon öfters Gegenstand von Falschbehauptungen war. In diesem WHO-Schreiben steht keineswegs, wie vom Richter behauptet, dass für die Anzahl der Covid-19-Fälle die Anzahl der "Infektionen/Erkrankten und nicht der positiv Getesteten" ausschlaggebend sei. (Anm. Es ist nicht eindeutig, ob der Richter hier Infektionen mit Erkrankten gleichsetzt. Die beiden Begriffe sind jedenfalls voneinander zu unterscheiden.) In der Notiz werden Nutzer von PCR-Tests, also etwa Laborpersonal, lediglich dazu aufgefordert, beim Interpretieren von PCR-Testergebnissen die Gebrauchsanweisungen sorgfältig zu lesen.

Besonderes Augenmerk richtet die WHO in der Notiz auf schwach-positive Resultate. Diese sollten mit Vorsicht interpretiert werden. Wenn das Testergebnis nicht mit dem klinischen Bild, also etwa den Symptomen, übereinstimme, sollte ein neuer Test gemacht werden.

Ct-Wert

Zudem sollten laut WHO die vom Hersteller empfohlenen Ct-Schwellenwerte beachtet werden. Dieser Wert ist ein Maß für die Viruskonzentration im Probenmaterial und zeigt die Zahl der Testzyklen an, die nötig sind, um Virus-RNA zu reproduzieren und damit zu erkennen, wie sich auch in einer Empfehlung des Gesundheitsministeriums nachlesen lässt. Die WHO-Informationsnotiz ist aber nicht als Definitionsänderung von positiven PCR-Testresultaten zu sehen. Sie sagt auch nicht, dass ein positives PCR-Testergebnis per se nicht ausreicht, um eine Infektion zu erkennen, sondern dass bei schwach-positiven Ergebnissen Vorsicht geboten ist und prinzipiell auch andere Faktoren miteinbezogen werden müssen. Das bestätigte auch eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums der APA.

Aus einem weiterführenden WHO-Dokument geht hervor, dass allein ein positives NAAT-Testergebnis (Anm. dazu gehört auch der PCR-Test) als bestätigter Covid-19-Fall gilt. Für einen dpa-Faktencheck zu der Notiz teilte die WHO zudem mit: "Wir möchten bekräftigen, dass wir ordnungsgemäß verwendete PCR-Tests für ein hochverlässliches Instrument zur Diagnose von Covid-19 halten." Laut WHO ist der Hintergrund der Notiz, dass bei ein paar Fällen nicht die von den Herstellern angegebenen Ct-Schwellenwerte beachtet worden seien. Darauf mache die Notiz aufmerksam. Wie einzelne Staaten PCR-Tests zur Ermittlung von Fallzahlen einsetzen, schreibt die WHO nicht vor.

Definition "Bestätigter Covid-19-Fall"

Kritik übt der Richter auch an den Definitionen des Gesundheitsministers was einen bestätigten Covid-19-Fall betrifft. Keiner der drei vom Gesundheitsminister definierten "bestätigten Fälle" erfülle die Erfordernisse des Begriffs "Kranker/Infizierter" der WHO, heißt es. Das ist falsch.

Die Falldefinition eines Covid-19-Falls ist im Einklang mit der von der WHO sowie von ECDC publizierten Falldefinition, teilte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf APA-Anfrage mit. Das lässt sich auch auf den Webseiten der WHO und der ECDC nachlesen. "In die Falldefinition (Verdachtsfall und bestätigter Fall) von Covid-19 fließen mehrere Faktoren mit ein: epidemiologische, klinische und labordiagnostische Kriterien sowie ein diagnostisches Bildgebungskriterium", hieß es. Das Gesundheitsministerium treffe "ausnahmslos und gestützt auf die Expertise von Fachexperten Entscheidungen in Verbindung mit den Vorgaben des Epidemiegesetzes wie auch des Covid 19-Maßnahmengesetzes und seiner Verordnungen". Bei Antigentests werde bei fehlender Symptomatik bzw. epidemiologischem Link ein positives Antigen-Testergebnis mittels einer sensitiveren Methode (PCR) nachgetestet, so die Sprecherin. Das lässt sich noch genauer in den FAQs des Gesundheitsministeriums nachlesen.

Vergleicht man die Falldefinitionen von WHO und Gesundheitsministerium, sind folgende Fälle gleichermaßen als "bestätigt" definiert: Eine Person mit nachgewiesener SARS-CoV-2-spezifischer Nukleinsäure, also jeder positive PCR-Test sowie eine Person mit positivem Antigen-Test, die epidemiologische Kriterien erfüllt, also etwa Kontaktperson zu einem wahrscheinlichen oder bestätigten Fall ist. Ein Unterschied zeigt sich nach diesen Kriterien bei symptomatischen Personen mit positivem Antigentest. Während hier in Österreich ein bestätigter Fall vorliegt, ist laut WHO-Definition ein Kontakt zu einem wahrscheinlichen oder bestätigten Fall oder eine Verbindung zu einem Covid-19-Cluster notwendig. Dafür umfasst die WHO-Definition auch theoretische asymptomatische Fälle, bei denen eine Röntgen-Thoraxaufnahme auf eine Covid-19-Erkrankung hindeutet.

Kary Mullis

In dem Entscheid wird ein YouTube-Video als Quelle dafür angeführt, dass PCR-Tests angeblich nicht zur Diagnostik geeignet sind und nichts über eine Infektiosität aussagen. Darin warnt der Erfinder der PCR-Tests, Kary Mullis, vor einer Fehlinterpretation der Tests, da man damit "alles in jedem" finden könne, wenn man die Probe nur genügend oft repliziere. Die Schlussfolgerung, dass PCR-Tests daher nicht für die Diagnostik beim Coronavirus geeignet sind, ist aufgrund dieser Aussagen unzulässig. Durch den Ct-Wert können durchaus Informationen zur Viruskonzentration und somit Hinweise auf die Infektiosität eines Menschen gesammelt werden. Es gibt auch keine Belege, dass Mullis die Verwendung von PCR beim Nachweis von Viren ablehnte.

Auch damit haben sich schon einige Faktenchecker beschäftigt. Der Ursprung dieser Behauptung liegt offenbar in einem Blogartikel von John Lauritsen aus dem Jahr 1996. In einem Absatz zitiert er Mullis mit dem Satz "Die quantitative PCR ist ein Oxymoron." Ob das Zitat auch wirklich von Mullis stammt, lässt sich nicht nachweisen. Im selben Absatz steht dann geschrieben, dass PCR-Tests genetische Sequenzen von Viren nachweisen könnten, nicht aber die Viren selbst. Diese Aussagen sind aber nicht als Zitat gekennzeichnet und stammen vermutlich vom Autor des Blogbeitrags. Der ganze Artikel bezieht sich auf einen Mythos, dass das HIV-Virus kein AIDS auslösen soll. Auch Mullis selbst vertrat diese Ansicht.

Prinzipiell gilt der PCR-Test laut dem Robert Koch-Institut (RKI) als "Goldstandard" für die Diagnostik einer Covid-19-Infektion. Eine Person kann auch eine asymptomatische Infektion durchleben, trotzdem ist der PCR-Test positiv und die Person kann ansteckend sein.

Infektionen vs. Testzahlen

Von Kritikern der Corona-Maßnahmen wird oft behauptet, dass hohe Fallzahlen auf viele Tests zurückzuführen sind. Diese Ansicht vertritt auch der Richter. Es ist aufgrund der Komplexität der Daten und zahlreicher Faktoren allerdings schwierig, hier Zusammenhänge festzustellen oder auszuschließen.

Nach Informationen des ORF war es rund zwei Wochen vor der von der gerichtlichen Entscheidung betroffenen FPÖ-Versammlung zu einer Umstellung bei den AGES-Daten gekommen. Dadurch, dass danach PCR- und Antigen-Tests gemeinsam veröffentlicht wurden, erhöhte sich auch die Gesamtzahl der Tests. Ob und in welchem Ausmaß dies nun zu erhöhten Fallzahlen beigetragen haben könnte, lässt sich schwer sagen.

Infektiosität

In einem weiteren Punkt geht es um die Bewertung eines bestätigten Covid-19-Falls in Bezug auf den Ct-Wert eines Testergebnisses. Hier wird der aktuelle Richtwert von 30 infrage gestellt. Der Richter führt eine Studie aus dem Jahr 2020 im peer-reviewed Journal "Clinical Infectious Diseases" an, derzufolge bei Ct-Werten größer als 24 kein vermehrungsfähiger Virus mehr nachweisbar sei und ein PCR-Test nicht dazu geeignet sei, die Infektiosität zu bestimmen. Prinzipiell kommt die Studie zu dem Schluss.

Allerdings ist die genaue Ct-Grenze, ab der sich SARS-CoV-2 nicht mehr repliziert, umstritten. Das RKI listet hierzu verschiedene Studien auf, wonach der "cut-off"-Wert zwischen 31 und 34 liegt. Bei einigen Proben konnten sogar noch bei einem Ct-Wert über 35 replikationsfähige Viren nachgewiesen werden. Das RKI weist darauf hin, dass diese Werte aber von Testsystemen und Laboren abhängen und daher variieren würden. Die Übertragungsfähigkeit eines Menschen hänge aber auch nicht nur von der Viruslast ab, sondern von zahlreichen anderen Faktoren. Genannt werden etwa die Zeit seit Symptombeginn, Besserung der Symptomatik, Verhalten der Person und der Umgebungsluft.

Der Ct-Wert hängt aber beispielsweise auch von der Abstrichqualität und Testdetails ab, informiert das Gesundheitsministerium in seiner Empfehlung. Bei der Entlassung von Covid-19-Fällen aus der Absonderung wird der Ct-Wert auf alle Fälle miteinbezogen. Der Richtwert von 30 wird in der Empfehlung zur Entlassung von Covid-19-Patienten aus der Absonderung anhand eines Charité-Protokolls festgemacht, welches aber nicht online auffindbar ist.

Juristische Einschätzung der Entscheidung

Peter Bußjäger, Universitätsprofessor am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck, bezeichnete das Erkenntnis im APA-Gespräch als "schräg". Kritisch sah er, dass der Richter den Wert von PCR-Tests oder auch die Datenlage was Infizierte betrifft, in Zweifel ziehe. "Dass er das freihändig als Jurist macht ohne auf medizinischen Sachverstand zurückzugreifen, halte ich für methodisch falsch", so Bußjäger. Zu sagen, PCR-Tests seien laut WHO nichts wert, das gehe eindeutig zu weit.

Prinzipiell sei es natürlich die Aufgabe des Richters die Untersagung der Versammlung für rechtswidrig zu erklären, wenn er auf Basis der vorgelegten Daten zu dieser Auffassung gelange - "Nur wie er zu diesem Ergebnis gelangt, das scheint mir schon sehr zweifelhaft." Die LPD Wien hat auf Twitter angekündigt, die Entscheidung nicht nachvollziehen zu können und außerordentliche Revision einlegen zu wollen.

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(APA/Red.)

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