AA

Europawahl 2024: "Thema Ukraine wird größere Rolle spielen"

Pichler: "Thema Ukraine wird größere Rolle spielen"
Pichler: "Thema Ukraine wird größere Rolle spielen" ©APA/AFP/SERGEI SUPINSKY (Symbolbild)
Das kommende Jahr hat die EU-Wahl im Gepäck. Dietmar Pichler, Desinformations-Analyst, meint im Gespräch mit der APA, dass das Thema Ukraine bei den bevorstehenden Europawahlen eine größere Rolle als zur Zeit der Krim-Annexion 2014 spielen werde.

"Man kann mit dem Thema alleine schon sehr viel Europapolitik machen - in der Beeinflussung", so der Experte. Pichler will noch vor der EU-Wahl im Juni 2024 ein "Disinformation Resilience Network" mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten aus der Taufe heben.

Vor dem Hintergrund der EU-Sanktionen gegen Moskau sei es "für Russland essenziell, die Dämonisierungskampagne gegenüber der Ukraine fortzuführen und Europa sehr stark zu spalten", so Pichler. Er beklagt unter anderem, dass russische Diplomaten in TV-Auftritten sehr viel Desinformation über die Lage der Ukraine seit 2014 erzählen würden, und dabei die Destabilisierung der Donbass-Region durch Russland verschwiegen werde.

Pichler will mit "Disinformation Resilience Network" ein "gemeinsames Forum für den Austausch schaffen"

Der Medienkompetenztrainer will mit dem "Disinformation Resilience Network" ein "gemeinsames Forum für den Austausch schaffen, wo unterschiedliche Expertisen und Erfahrungen vorkommen". Zusammensetzen soll sich das "klar überparteiliche" Netzwerk aus österreichischen und ausländischen Experten und Expertinnen, die aus unterschiedlichen Fachbereichen von Wissenschaften, Kommunikation, Osteuropa und der EU kommen. Inoffiziell gebe es die Kontakte bereits, etwa in Italien, in der Ukraine, den USA, Belarus, der Slowakei, Georgien und am Balkan.

"Die Idee ist schon: Wenn wir merken, es gibt spezifische Ereignisse, dass dann auch im Rahmen des Netzwerks reagiert wird. Zum Beispiel mit einer Presseaussendung, wo Expertinnen oder Experten Statements abgeben können, die ein faktenwidriges Narrativ oder eine Desinformation entsprechend widerlegen."

"Schlachtfeldinformationen muss man immer mit enormer Vorsicht genießen"

Der Desinfo-Analyst beklagt, dass bei Desinformation oft das größere Bild nicht gesehen werde. "Schlachtfeldinformationen muss man immer mit enormer Vorsicht genießen. Speziell in den sozialen Medien, weil da alles sehr schnell geht, auch von Militärbloggern usw. Egal von welcher Seite. Das Problem ist im politischen Kontext, wenn zum Beispiel gesagt wurde, dass Russland sich von der NATO bedroht fühlt, anstatt dass Putin das sagt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Das hat langfristig dazu geführt, dass immer wieder das Narrativ auftaucht, Russland reagiere nur auf die NATO-Erweiterung."

Eine Art Desinformation entstehe auch durch falschen Kontext. Wenn etwa die Korruption in der Ukraine im direkten Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg kritisiert werde, entstehe der Verdacht, dass es eine Relativierung dieses Angriffs sein soll. Russland liege im Korruptionsindex von Transparency International um einige Plätze schlechter als die Ukraine, so Pichler.

Schwerer einzuschätzen sei ein möglicher Einfluss des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas auf die Europawahlen. Wenn der Krieg schnell ende, wäre er geringer. Es gebe viel Desinformation bezüglich der Positionen von Organisationen und Demonstrationen, etwa wenn eine Glorifizierung der Hamas geleugnet werde und der 7. Oktober als Akt des Widerstands bejubelt werde.

Pichler spricht von "großem Mythos"

Eine weitere Aufgabe des Netzwerks wäre "eine ganz pro-aktive Arbeit gegen EU-Mythen", betonte Pichler, der auch Informationen über das Funktionieren der EU-Institutionen bereitstellen will. "Es ist ein großer Mythos, dass niemand in der EU gewählt ist. Gleichzeitig haben wir eine Wahl, wo die Leute oft gar nicht wissen, was gewählt wird." Ebenfalls ein "Dauermythos" wäre die Behauptung, dass die EU ein Anhängsel der Vereinigten Staaten sei. Eine verbreitete Geschichte, wonach die Euromaidan-Revolution von den USA mit fünf Milliarden Dollar finanziert worden sei, sei auch von dem EU-Faktencheck "EU vs. Disinfo" widerlegt worden.

"In Österreich sind wir bei dem Thema Desinformation sehr oberflächlich gewesen. Wir haben den Elefanten im Raum nicht klar genannt", so der Desinfo-Analyst. Finnland sei im europäischen Vergleich dagegen sehr gut vorbereitet. Dort werde russische Desinformation schon in Schulen klar genannt, etwa die Trollfabriken, die von dem verstorbenen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin aufgebaut wurden. In Österreich werde bisweilen die Neutralität so interpretiert, "dass wir neutral gegenüber der Realität sind, das heißt in Äquidistanz zu Angreifer und Verteidiger", was aber weder die Position der Bundesregierung noch des Bundespräsidenten sei. Pichler ist Mitunterzeichner eines offenen Briefs von Politikern, Experten und Unternehmern, die eine Debatte über die Sicherheitspolitik fordern.

(Das Gespräch führte Thomas Schmidt/APA.)

(APA/Red)

  • VIENNA.AT
  • Europawahl
  • Europawahl 2024: "Thema Ukraine wird größere Rolle spielen"
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen