Der EU-Experte Janis Emmanouilidis gibt dem Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, kaum Chancen auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten. “Aller Voraussicht nach wird keiner der Spitzenkandidaten Kommissionspräsident”, sagte Emmanouilidis im APA-Interview. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) dürfte im EU-Personalringen auch wenig Chancen haben, weil er polarisiere.
Entscheidend sei, wie sich am Wahlabend die deutsche Kanzlerin Angela Merkel positioniere. “Wenn er (Weber) nicht die starke Unterstützung der Bundeskanzlerin hat, hat er keine Chance”, sagte der Forschungsdirektor des European Policy Centre (EPC) Mittwochabend in Brüssel. Merkel habe nie explizit gesagt, dass Weber bei einem relativen EVP-Wahlsieg auch Kommissionspräsident werden müsse, erinnerte der Experte.
Präsident des Europaparlaments als möglicher Posten
Nicht ganz so schlecht schätzt Emmanouilidis die grundsätzlichen Chancen der EVP auf den Spitzenposten in der Brüsseler Behörde ein. Diesbezüglich “wissen wir nicht, wie es ausgeht”, verwies der Experte etwa auf den Brexit-Chefverhandler Michel Barnier aus Frankreich, der auch unter den Staats- und Regierungschefs hohes Ansehen genieße. Hoch angesehen sei etwa auch die liberale dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die auch davon profitieren könnte, dass mindestens eine Frau im künftigen EU-Spitzenteam sein sollte. Weber könnte möglicherweise Präsident des Europaparlaments werden.
Der derzeitige EVP-Fraktionschef habe vor allem deshalb schlechte Chancen, weil die beiden großen Parteienfamilien ihre Mehrheit im Europaparlament verlieren und den Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidatensystem nicht mehr aufzwingen können. Stattdessen werde diesmal möglicherweise eine Partei entscheidend, “die ein Team aufgestellt hat”, sagte Emmanouilidis mit Blick auf das Nein der Liberalen zum Spitzenkandidatensystem.
Bundeskanzler Kurz mit wenig Chancen
Überraschungen könnte es insbesondere bei den weiteren zur Besetzung gelangenden Spitzenposten geben, etwa jenem des EU-Ratspräsidenten oder jener der EU-Außenbeauftragten. “Hier könnten Leute, an die nicht primär gedacht wurde, das Rennen machen.” Bundeskanzler Kurz, der jüngst mit seinem Vorstoß für eine EU-Vertragsreform aufgezeigt hat, hat der Experte diesbezüglich aber “eher weniger” auf seiner Liste für die EU-Topjobs.
“Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass oftmals am Ende jemand genommen wurde, der nicht extrem polarisiert”, erläuterte Emmanouilidis. Kurz habe vor allem im Migrationsbereich “eher eine einem Pol zugewiesene Rolle gespielt”. Polarisierend sei auch die Koalition des ÖVP-Chefs mit der FPÖ, verwies der Experte auf den “Battle of Camps” (Lagerkampf) zwischen den “Liberalen” und “Illiberalen” innerhalb der Europäischen Union.
Briten pfuschen nicht in Personalentscheidungen
Kein wesentlichen Auswirkungen auf die EU-Personalentscheidungen werde die britische Teilnahme an der Europawahl haben, erwartet Emmanouilidis eine Mehrheitsbildung ohne die 73 britischen Europaabgeordneten. “Diese Koalition, die sich formieren wird, wird sich nicht abhängig machen von den britischen Europaabgeordneten”, geht Emmanouilidis von einem möglicherweise sogar vier Parteien (Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne) umfassenden Bündnis aus.
Keine Chance gibt der Experte der vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seinen rechtspopulistischen Sympathisanten gewünschten Allianz zwischen der EVP und den Rechtsparteien. “Das schließe ich aus.” Eine Koalition mit “Anti-Kräften” im Europäischen Parlament werde nicht zustande kommen. “Ich sehe auch nicht, dass die Koalition des rechten Lagers stabil sein wird über eine längere Zeit”, sagte er mit Blick auf die vom italienischen Vizepremier Matteo Salvini vorangetriebene Allianz europaskeptischer und rechtspopulistischer Kräfte, die derzeit auf drei Fraktionen im Europaparlament verteilt sind.
(APA/red)