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Es war nicht Kolumbus

Blickt der US-Bürger zurück in die Geschichte Nordamerikas, fallen ihm zwei Jahreszahlen ein: 1492 - die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus - und 1620 - die Besiedelung Neuenglands. Doch da ist mehr. Ein Buch, eine Entdeckungsreise.

Überraschenderweise wissen aber die wenigsten, was sich zwischen der ersten Fahrt des Christoph Kolumbus und der Gründung der ersten Siedlung der englischen Pilgerväter nahe des heutigen Plymouth in Neuengland abspielte. Das hat auch der Journalist und Pulitzer-Preisträger Tony Horwitz an sich selbst festgestellt und zum Anlass genommen, sich auf eine investigative Erkundungsreise zu begeben, die ihn von ersten Wikingersiedlungen auf Neufundland bis in die Dominikanische Republik und die großen Tiefebenen des Mittleren Westens der USA führte.

Seine Annäherung an die Vergangenheit versteht Horwitz, der kein ausgebildeter Historiker ist, als “teilnehmende Geschichte”. Und das nimmt er wörtlich: Für das vorliegende Buch studierte er 202 Bücher (siehe Bibliographie) und legte laut einer US-Zeitung rund 37.000 Kilometer zurück, um seine Geschichtslücken für immer zu schließen. Durch den dramaturgischen Kunstgriff, den historischen Begebenheiten und Persönlichkeiten im Stile einer Reisereportage nachzuspüren, wird verloren geglaubtes Wissen für den Leser spürbar mit Leben gefüllt.

Von Neufundland bis in die “DomRep”

Es sind purer Forscherdrang und Neugier, die Horwitz vorantreiben: Was wurde aus der ersten Wikingersiedlung bei L’Anse aux Meadows auf Neufundland, was aus der ältesten europäischen Stadt in der Neuen Welt – Santo Domingo auf der Dominikanischen Republik? Die ersten fremden Besucher in Nordamerika waren Wikinger, die sich von Grönland aus nach Westen vorgewagt hatten und eine Zeitlang Neufundland und Labrador erkundschafteten. Ihre ersten Begegnungen mit den “Skraelingen” (frei übersetzt “Schreihälse”) mündeten nach anfänglichem Tauschhandel in kriegerische Auseinandersetzungen, die – neben den kargen Lebensbedingungen – schließlich den Abzug der Nordmänner zur Folge hatten. Ein Muster aus Krieg und Frieden, das sich im Lauf der Jahrhunderte noch sehr oft wiederholen sollte, nur dass spätere Siedler sich nicht mehr so leicht verdrängen ließen.

Horwitz zeigt, dass die Aufarbeitung von Geschichte nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam sein kann. Wer hätte schließlich gedacht, dass der erste Indianer (Samoset), auf den die Pilgerväter in Massachusetts trafen, zuallererst auf englisch nach einem Bier fragte? Neben Samoset finden sich in diesem abenteuerlichen Streifzug noch viele weitere schillernde Figuren mit oft wahnwitzigen Entdeckerkarrieren und Biographien.

Ein spanischer “Hippie”

Exemplarisch für die zahllosen “namenlosen” Abenteurer im Schatten der zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten “Konquistadoren” Cortes und Pizarro mag der zumindest hierzulande weitgehend unbekannte spanische Entdecker Alvar Nunez Cabeza de Vaca stehen. De Vaca unternahm zwischen 1528 und 1536 einen Überlandmarsch, “neben dem sich die berühmte Expedition von Lewis und Clark drei Jahrhunderte später wie ein Pfadfinderausflug ausnahm”. Folgt man seiner ersten Spur von Tampa, Florida, bis ins Herz der texanischen Wüste, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nachdem er vor Florida Schiffbruch erlitten hatte, wurde er von Indianern versklavt, entkam mehrmals knapp dem Hungertod, wurde später als Medizinmann verehrt und schließlich von einer Tausendschaft Einheimischer auf einem hippieartigen Tross quer durch das Land begleitet.

Nach seiner Rückkehr in die Zivilisation setzte sich der geläuterte Konquistador für die Rechte der Indianer ein, freilich mit wenig Erfolg. Weitere Expeditionen folgten, den Ureinwohnern brachten die Eindringlinge vor allem Krankheiten, Ausbeutung und Gräueltaten. So markant die Spuren der Spanier, aber auch der Franzosen waren, die um 1564 eine Hugenottenkolonie in Florida errichteten, so wenig ist davon im allgemeinen Geschichtsverständnis der USA verblieben.

Hartnäckige Pilger-Mythen

Am Ende seiner Tour kommt Horwitz nach drei Jahren wieder an den Ausgangspunkt nach Plymouth, Massachusetts, zurück. Sein eigenes Weltbild hat sich durch die extensive Reise- und Recherchetätigkeit in dieser Zeit nachhaltig verändert. Frustrierenderweise gilt das aber nicht für die lokalen Touristenführer und die populäre Geschichtsauffassung, wonach an diesem, und nur an diesem Ort der Ausgangspunkt der amerikanischen Geschichte zu finden ist. Für Indianer, Hugenotten, Hispanics und all jene, die bereits jahrzehntelang vor den Angelsachsen in “God’s Own Country” unterwegs waren, bleibt da wenig Platz.

Horwitz, Träger des Pulitzer-Preises 1995, lebt mit seiner Familie in Massachusetts. Seine Biographie über den Seefahrer und Entdecker James Cook (2003) wurde in den USA ein Bestseller.
(APA)

“Es war nicht Kolumbus – Die wahren Entdecker der Neuen Welt”. Ca. 500 Seiten, gebunden, mit 48 Abbildungen und Karten, 29,90 Euro

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