Erzbischof Nichols bezieht sich mit seinen Aussagen auf den kürzlich publik gewordenen Fall eines 15-jährigen englischen Schulmädchens, das von Mitschülern schwer beleidigt wurde und daraufhin eine tödliche Dosis Schmerzmittel zu sich nahm. Einige ihrer Schulkollegen hatten zuvor gehässige Kommentare über den Kleidungsstil und das Aussehen des Mädchens auf der Networking-Seite Bebo gepostet. Vorfälle wie diese würden jedoch zeigen, dass Kontakte und Erfahrungen, die man im Web 2.0 sammelt, sehr wohl realen Gehalt haben, sagt Natalia Wächter, wissenschaftliche Projektleiterin beim Österreichischen Institut für Jugendforschung auf Nachfrage von pressetext. “Zwischen virtueller und realer Welt gibt es eine starke Überschneidung. Erlebnisse im Internet müssen von den Jugendlichen genauso verarbeitet werden wie Erlebnisse im realen Leben.” Soziale Netzwerke wie Facebook oder MySpace übertragen demnach reale Lebenssphären in die digitale Welt des Internets. Dass darunter auch Beleidigungen und böse Kommentare zu finden sind, ist leider traurige Tatsache. Durch die hohe Reichweite, die diese Portale erzielen, seien freilich auch die sozialen Auswirkungen gravierender, so Wächter.
Dass Freundschaftsbeziehungen im Web 2.0 großteils unbeständig oder flüchtig seien, kann Wächter jedenfalls nicht bestätigen. Die Wissenschafterin argumentiert, dass Social-Networking-Plattformen ohnedies zu einem Großteil dazu benutzt werden, um sich mit Freunden aus dem wirklichen Leben – zum Beispiel aus der Schule oder aus der Nachbarschaft – zu vernetzen. Auch vom Vorwurf Nichols’, Jugendliche würden sich vermehrt über die Anzahl ihrer in sozialen Netzwerken gewonnenen Freunde definieren, distanziert sich die Forscherin: “Üblicherweise haben jene, die in der realen Welt über einen großen Freundeskreis verfügen, auch in sozialen Netzwerken viele Freunde.”
Die katholische Kirche ist Web 2.0-Anwendungen gegenüber prinzipiell positiv eingestellt. Nicht umsonst können Neuigkeiten über Papst Benedikt XVI. mittlerweile auch auf YouTube (“PopeTube”) oder via Facebook verfolgt werden. Der Papst selbst äußerte sich vergangenen Mai in einer Botschaft zum 43. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel ebenfalls überwiegend positiv zu diesem Thema und ermunterte junge Katholiken, “das Zeugnis ihres Glaubens in die digitale Welt zu tragen.” Für Leitenberger ist diese Strategie sinnvoll, schließlich müsse man mit Jugendlichen überall dort in Kontakt treten, wo sie sich zumeist aufhalten.