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Eröffnungs-Marathon im Schauspielhaus

Nach den Erstaufführungen zweier Stücke von Gerhild Steinbuch und Johannes Schrettle, den Premieren drei und vier nach dem Auftakt-Doppelschlag am Vortag, lässt sich erahnen, wohin die Reise geht:

In eine Art Paralleluniversum, bei dem die politische und gesellschaftliche Realität aus der Ferne grüßt, in ein Versuchslabor der Sprache und der Situationen, in dem die Mitarbeit der Zuschauer für das Gelingen der Experimente unbedingt erforderlich ist.

Das kleine, talentierte und hochmotivierte Ensemble ist mit dem Turbo-Start extrem gefordert – und musste wie schon am Donnerstag bei einer der beiden Aufführungen teilweise zu den Textbüchern greifen. Das mag einen Reiz des Unfertigen haben und bei jenen Werkstatttagen, mit denen nicht nur der neue Intendant, sondern auch die Autoren reiche Erfahrung haben, die einzig praktikable Umsetzungsform sein. An einer Bühne wie dem Schauspielhaus verwundert dies ein wenig.

Dass die ersten vier Produktionen einander in mancher Hinsicht ähneln, liegt nicht allein an den geschickten Bühnenbildern von Bernhard Kleber, die allerdings die Gefahr bergen, dass man sich an der weiß gestrichene Bühnenmauer bald sattsehen wird. Auch die Texte wirken, als habe man es mit unterschiedlichen Resultaten desselben Workshops zu tun. Gar nicht so weit daneben geraten: Palmetshofer, Steinbuch und Schrettle haben alle an der uniT in Graz ihr szenisches Schreibhandwerk gelernt. Gemeinsam ist ihnen der Hang zu diffusen Textnebeln, zu komplizierten, poetischen Rätseln, die eine Zeitlang faszinieren, bald aber die Sehnsucht wecken nach Klarheit, Prägnanz, nach Handfestem.

“schlafengehen”

„schlafengehen“, ein 2006 in Essen uraufgeführtes Stück der 1983 in Mödling geborenen und bereits vielfach ausgezeichneten Gerhild Steinbuch, erinnert in der verzweifelten Suche nach familiärer Geborgenheit und Liebe an das Palmetshofer-Stück „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ des Vortages. Auch hier irrlichtern zwei Eltern, der Vater Hans (Stephan Lohse) und die Mutter Anna (Katja Jung), die durch unkonventionelle Kuchenbackmethoden überrascht und sich schließlich selbst in eine Torte zu verwandeln versucht, über die helle Bühne, die diesmal mit Skateboardbahn-Versatzstücken und einem transparenten, drehbaren Quader ausgestattet ist. Sohn Elm (Vincent Glander) schreibt rätselhafte Aussagen wie „Backen ist Liebe?!“ oder „Halbe Menschen backen besser“ auf die Folien. Wie seine Beziehung zu Milan, einem Mann mit einem „verwelkten“ Bein (Steffen Höld mit Latexmaske und Paketbandverschnürung), und zu dem Mädchen Nele (Bettina Kerl) gestaltet ist, muss der Zuschauer schon selbst herausbekommen. Regisseurin Barbara-David Brüesch tut nicht viel dazu, das „Paralleluniversum“ (Steinbuch) des Stücks zu vererden.

“wie ein leben zieht mein koffer an mir vorüber”

Auf einer Weltraumplattform, die mehr einer trashigen Wohnlandschaft gleicht, hat man sich dagegen „wie ein leben zieht mein koffer an mir vorüber“ von Johannes Schrettle vorzustellen. Dafür hat statt des in die Proben gestarteten Regisseurs Christoph Ernst gleich ein Kollektiv (Stephan Lohse, Daniela Kranz, Bernhard Kleber, Kristin Weißenberger und Brigitte Auer) das Steuerruder übernommen. Ins Schlingern kommt das Raumschiff dennoch – oder gerade deshalb. Die wirre Handlung, in deren Zentrum ein Koffer steht, dem einmal eine Putzfrau namens Piroschka entsteigt, und der ein anderes Mal am Flughafen verwechselt wird, erinnert wie die Bühne an einen durcheinandergewirbelten Second Hand-Shop, aus dessen Angebot sich jeder rausholen soll, was ihm gefällt. Ob die lustigen Teile zu etwas zu gebrauchen sind, ist unwichtig, Hauptsache sie sind schön bunt und glitzern. Das sechsköpfige Ensemble ist mit Lust und Spaß bei der Sache, es gibt Video-Einsatz und Schaumschlägerei, ein zum Schreien komisches Biobauern-Handpuppenspiel und ein schönes Schlussbild, bei dem alle nach Bergsteigerart in die Luft gehen.

Das Schauspielhaus Wien hat sich mit einem waghalsigen Gipfelsturm positioniert. Jetzt beginnen die Mühen der Ebene. Denn wie bei den Kollegen des neuen „brut“ stellt sich nach der vom Szenepublikum gestürmten Eröffnung vor allem die Frage, wer sich in den folgenden Vorstellungen für das Gebotene interessiert. Der neue Repertoire-Spielplan in der Porzellangasse gibt immerhin jedem die Chance, sich selbst ein Bild zu machen.

(SERVICE – „schlafengehen“ von Gerhild Steinbuch, nächste Vorstellungen: 4., 5., 11., 21., 22.12., 20 Uhr, „wie ein leben zieht mein koffer an mir vorüber“ von Johannes Schrettle, nächste Vorstellungen: 1., 14., 15., 27.12., 20 Uhr, Karten: 01 / 317 01 01 – 18, http://www.schauspielhaus.at)

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