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Ende in weiter Ferne

Russland-Experte Gerhard Mangott sprach in "Vorarlberg LIVE" über den Krieg in der Ukraine und wann wieder mit Frieden gerechnet wird.
Ein halbes Jahr Krieg in der Ukraine
Wir geben Russland "auf die Fresse"

Was viele zuerst nicht glauben wollten, wurde am 24. Februar 2022 Realität: Russland startete seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine. Am Mittwoch war das genau sechs Monate her. An diesem Tag beging Kiew auch den 31. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Bei Vorarlberg LIVE teilte der Politikwissenschaftler und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck seine Einschätzung zu den aktuellen Geschehnissen in dem überfallenen Land. An ein rasches Kriegsende glaubt er nicht. Zudem hält er es für möglich, dass Russland die Gaslieferungen nach Europa im Herbst vollständig kappen könnte.

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Erfolge erwartet

Mit Blick auf die vergangenen sechs Kriegsmonate erläutert der Politologe, dass sich Russland eigentlich einen viel zügigeren Verlauf, die schnelle Kapitulation der ukrainischen Streitkräfte und den Sturz der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet habe. Das kam bekanntlich anders. Mangott spricht von einem „langewährenden, wahrscheinlich noch lange andauernder Krieg, der viele Tote auf beiden Seiten gefordert hat.“ Zudem sei er durch schwere Kriegsverbrechen Russlands geprägt. „Heute scheint es so, als würde das Ganze in einen Abnützungskrieg gleiten.“ Ein rasches Ende sei nicht zu erwarten, da sowohl Moskau als auch Kiew sich noch Erfolge auf dem Schlachtfeld erwarteten. „Und solange das der Fall ist, wird es keine Verhandlungen, nicht einmal über eine Waffenruhe geben.“

Dem Experten zufolge war Präsident Selenskyj nicht immer eindeutig, was das Kriegsziel angeht. Dabei stehe die Frage im Mittelpunkt, ob er zur Situation vor Kriegsbeginn zurückkehren möchte oder ob die russischen Truppen doch aus dem gesamten ukrainischen Territorium, also auch der schon 2014 annektierten Krim, vertrieben werden sollen. In den vergangenen Monaten sei letzteres zum Ziel geworden, erläutert Mangott. Auch zum Unabhängigkeitstag bekräftigte Selenskyj, alle Gebiete des Landes zurückholen zu wollen. „Für uns ist die Ukraine die ganze Ukraine.“

Die aktuelle Situation rund um das größte Atomkraftwerk Europas, Saporischschja, das von russischen Truppen besetzt ist, stuft der Experte als gefährlich ein. „Es ist völlig unverantwortlich von Russland, schweres Gerät auf dem Gelände dieses Kraftwerks zu stationieren und von da aus die Stadt Nikopol anzugreifen. Und es ist unverantwortlich von der Ukraine, diesen Beschuss teilweise mit eigenem Beschuss zu beantworten.“ Mangott zufolge liegt eine Kernschmelze im Bereich des Möglichen. Es sei daher dringend geboten, dass das Gelände unter internationale Kontrolle durch die Vereinten Nationen komme.

"Starke Auswirkungen"

Befragt zu den europäischen Sanktionen gegen Russland, die zuletzt vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) in Frage gestellt wurden, meint Mangott: „Die Auswirkungen sind stark und sie sind jedenfalls stärker als die Konsequenzen der Sanktionen für die EU.“ Er verweist auf die hohe Inflation, steigende Arbeitslosigkeit und einen Wirtschaftseinbruch zwischen sechs und neun Prozent dieses Jahr. Dazu komme, dass viele westliche Unternehmen das Land verlassen haben. „Mittel- bis langfristig werden vor allem die Exportverbote für Hochtechnologie Russland schwer treffen.“

Was Gaslieferungen nach Europa angeht, erinnert Mangott daran, dass Russland diese seit letztem Herbst immer weiter verknappt habe. Die vorgeschobenen technischen Gründe hält er für alles andere als glaubwürdig, und gibt zu bedenken: „Es ist durchaus möglich, dass Russland die Gasversorgung im Herbst, im späteren Herbst völlig kappt.“ Die damit verbundene steigende Angst und Unsicherheit entspreche dem Kalkül von Kremlchef Wladimir Putin. „Denn er nimmt an: Je größer die Angst in den Bevölkerungen Europas ist, umso eher werden sie die Regierungen drängen, nicht so scharf gegen Russland vorzugehen. Und die Frage wird aufkommen: Warum sollten wir für die Ukraine frieren?“

Die gesamte Sendung

Die Sendung "Vorarlberg LIVE" ist eine Kooperation von VOL.AT, VN.at, Ländle TV und VOL.AT TV und wird von Montag bis Freitag, ab 17 Uhr, ausgestrahlt. Mehr dazu gibt's hier.

(VOL.AT)

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