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"Eine Frau, die auf der Parkbank schläft – das darf nicht sein!"

©APA/ROLAND SCHLAGER (Sujet)
Sabine Strobl-Heinrich ist Leiterin eines betreuten Wohnhauses, das auf ältere, vormals wohnungslose Frauen spezialisiert ist. Um mit meiner ehemaligen Chefin über Obdachlosigkeit, Sucht im Alter und ein durch Bier erwirktes Wunder von Lourdes zu reden, bin ich an den Ort zurückgekehrt, wo ich vor zehn Jahren meinen Zivildienst abgeleistet habe.

Wie lange bist Du als Sozialarbeiterin tätig?

Hier im Haus bin ich jetzt das 18. Jahr tätig. Ich war von Anfang an in das Projekt involviert.

Was genau ist der Auftrag des Hauses?

Wir sind ein sozial betreutes Wohnhaus. Unsere Zielgruppe sind wohnungslose Frauen und in einem kleineren Segment auch Paare. Unsere Leute haben teils schon einen erhöhten Pflegebedarf – ein Drittel haben eine Pflegestufe, ein Drittel benötigen auch Unterstützung in Form einer Besachwaltung. Wir helfen unseren Klientinnen ihren Alltag zu bewältigen und zu gestalten. Wir versuchen sie partizipativ einzubinden, indem wir beispielsweise Vorschläge, die von ihnen kommen aufgreifen – im Vorjahr haben wir zum Beispiel eine Hauszeitung gestaltet. Dafür braucht es sehr viel Mitarbeit und Unterstützung vom Team, das ist das Wesentliche. Unser Ziel ist es, eine gewisse Tagesstruktur zu schaffen und eben mehr zu sein, als nur ein Wohnplatz. Wir möchten gerne viel anbieten und tun das soweit es uns möglich ist auch, aber uns fehlen zunehmend die Ressourcen. Die monetäre Ausstattung des Fördergebers ist leider anders gelagert – der bezahlt primär die Wohnversorgung und nicht diese intensivere Betreuung, die wir gerne bieten würden und die auch sinnvoll wäre. Das wird wo möglich durch persönliches Engagement des Teams ausgeglichen, eine mittlerweile pensionierte ehemalige Mitarbeiterin gestaltet beispielsweise immer noch wöchentlich einen Nachmittag im Café – sei es Basteln oder Vorlesen oder sonstige Aktivitäten.

Welche besonderen Herausforderungen kommen mit eurer Zielklientel?

Durch den Hintergrund der Obdachlosigkeit kommen zwei häufige „Beiwagerl“ ins Spiel: Einerseits Suchterkrankungen und andererseits psychische Auffälligkeiten. Die können durchaus auch Hand in Hand gehen. In solchen Fällen ist es dann schwer zu sagen, ob das eine das andere mitausgelöst hat oder umgekehrt – das ist ein bisschen ein Henne–Ei Problem. Grob prozentuell gesagt haben 75 Prozent unserer Klientinnen ein Suchtproblem – sei das Alkohol oder Medikamente.

Wohnungslosigkeit ist mitunter nur erträglich durch Alkohol. Insbesondere für Frauen ist sie hart. Das macht ein schönes warmes Gefühl, man fühlt sich geborgener und vergisst vorübergehend die Sorgen – wenn man nicht wohnversorgt ist, kann das durchaus ein Gefühl sein, das man sucht. Die negativen Folgen stehen gerade am Anfang der Suchterkrankung in keiner Relation zu den sonstigen täglichen Problemen. Der Auftrag unseres Hauses ist auch nicht „Resozialisierung“, also quasi wieder Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben. Unsere Klientinnen sind physisch oder psychisch dazu nicht mehr in der Lage. Unser Ziel ist es, ihnen einen würdevollen Lebensabend zu ermöglichen.

Etwas anders ist die Problematik bei unseren Paarwohnungen gelagert. Die Bewohner*innen sind hier wesentlich jünger – Mitte dreißig etwa – und der Hintergrund sind oft Drogen. Der Grund für das geringere Alter ist, dass unsere Klient*innen aufgrund des schwierigen Backgrounds allgemein viel mit sich selbst beschäftigt sind. Es fehlt meistens der freie „Arbeitsspeicher“ für das Aufrechterhalten einer Beziehung.

Wieso ist Wohnungslosigkeit gerade für Frauen schlimm?

Aufgrund eines gerade noch in der Generation unserer Klientinnen starken sozialen Tabus. Eine Frau, die auf der Parkbank schläft – das darf nicht sein! Obdachlosigkeit ist für Frauen sehr viel mehr mit Scham verbunden, weshalb sie gewillt sind, fast alles zu tun, um sie zu vermeiden. So kommt es auch oft zu schlimmen Abhängigkeitsverhältnissen zu Männern – richtigen unheiligen Allianzen.

Wenn du sagst, eine „Resozialisierung“ sei nicht der Auftrag, heißt das, es wird nicht versucht, Suchterkrankungen zu heilen?

Die Therapie einer Suchterkrankung braucht ein hohes Maß an Selbstreflexion, Willen und Arbeit von Seiten der Betroffenen. Die meisten unserer betroffenen Klientinnen sind dazu nicht mehr in der Lage – der Alkohol ist bereits Bestandteil des Lebens geworden. Es gibt auch wenige Therapieplätze, die auf unsere Klientel spezialisiert sind, da die Erfolgsaussichten so gering sind und die öffentliche Hand für ihre Investition ja auch Erfolge sehen will. Ein wesentlicher Punkt ist hierbei das fortgeschrittene Alter – es gibt keine Zukunftsvisionen mehr, keine Pläne. Wozu eine langwierige, schmerzhafte Therapie, wenn es keinem persönlichen Ziel dient. In sehr fortgeschrittenen Fällen macht es auch manchmal medizinisch keinen Sinn mehr, weil der Entzug physisch so belastend ist, dass er gefährlich sein könnte. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht vereinzelt auch hier Erfolgsgeschichten gibt.

Ich kann mich an eine Klientin erinnern, der, nachdem sie sich stark alkoholisiert das Bein gebrochen hat, ein Alkoholverbot ausgesprochen wurde mit dem Zusatz „Aber gut, wir werden Sie nicht rausschmeißen, wenn wir Sie mal mit einem Bier erwischen.“. Die hat das dann sehr wörtlich genommen und ist mehrfach am Tag zum Supermarkt und zurück gepilgert, um sich jedes Mal genau ein Bier zu kaufen. Drei Monate nach dem Vorfall war sie durch die viele Bewegung physisch und psychisch in einem weit besseren Zustand als zuvor.

(lacht) Ja, wenn man das als Erfolgsgeschichte sehen will, kann man das durchaus in diesem begrenzten Blickwinkel so beurteilen!

Wann greift ihr als Haus ein bei alkoholkranken Klientinnen?

Bei akuter Selbstgefährdung oder, wenn das „harmonische“ Zusammenleben gefährdet wird. Also wenn beispielsweise randaliert wird, oder es Probleme mit anderen Klientinnen und dem sozialen Umfeld gibt. Da wir auf Frauen spezialisiert sind, kommt es dazu aber eher seltener. Frauen gehen anders mit Alkohol um als Männer. Auch das liegt an einem sozialen Tabu, das es immer noch gibt, aber das bei unseren Klientinnen noch besonders stark verankert ist. Eine betrunkene Frau ist in der Gesellschaft unerwünscht. Das ist nicht hübsch. Das ist nicht nett. Deshalb wird hier vor allem privat in der Wohnung getrunken. Eine gewisse Grundscham ist da. Das ist beim männlichen Pendant unserer Klientel ganz anders.

Das deckt sich mit meinen Beobachtungen – ich habe bei meinen drei kurzen Besuchen im „verwandten“ Haus für Männer mehr offensichtlich Betrunkene im gemeinschaftlichen Raum gesehen, als in meinen 14 Monaten bei euch.

Ja, da wird Alkoholkonsum ganz offen betrieben und mitunter geradezu zelebriert.

Wie kann man euch unterstützen?

Am allerbesten wäre natürlich ein persönliches Engagement mit den Klientinnen. Das ist aber nicht ganz leicht, da Angebote in dieser Hinsicht teils durchaus deutlich von ihnen abgelehnt werden. Abgesehen davon freuen wir uns natürlich auch sehr über Sachspenden – aktuell bräuchten wir beispielsweise Töpfe, Pfannen und Gartenmöbel. Geldspenden sind über das Wiener Hilfswerk unter Angabe des Betreuten Wohnhauses Tivoligasse erwünscht.

Text zur Verfügung gestellt von: www.dasgrad.com

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