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Ein persönliches Werk

Das Westzimmer mit erweiterter Raumhöhe und großem Fenster zur Stadt, Abendhimmel Richtung Bodensee inklusive. Darin die Bibliothek, der analoge literarische, wissenschaftliche Speicher der Bauherrin.
Das Westzimmer mit erweiterter Raumhöhe und großem Fenster zur Stadt, Abendhimmel Richtung Bodensee inklusive. Darin die Bibliothek, der analoge literarische, wissenschaftliche Speicher der Bauherrin. ©Leben & Wohnen
Bauen, so besagt ein landläufiges Urteil, ist etwas für robuste Naturen und man bringe den Bau der eigenen vier Wände bis zur Lebensmitte hinter sich. Doch da öff net eine zarte, hochbetagte und noch immer rüstige Dame die Tür zu ihrem Haus, welches sie vor wenigen Jahren nach eigenen Vorstellungen geplant und umgebaut hat.

Fast ihr ganzes Leben hat sie in diesem Haus gewohnt. Vom Vater, dem Statiker und Architekten Sepp Blenk Mitte der 20er-Jahre für die wachsende Familie gebaut, beherbergte das nach heutigen Vorstellungen bescheidene Bauwerk zeitweilig eine siebenköpfi ge Familie. Längst ist die Familie in alle Winde verstreut und so blieb der Tochter nach dem Tod der Eltern Haus und das „Erbe“ des väterlichen Büros. Die Profession des Vaters ging nach und nach auf sie über – die Ausbildung an einer Baufachschule und zwei Sommer Erfahrung in einer Wohnbaugesellschaft mussten reichen, um ihn zu unterstützen und ihn dann mehr und mehr zu ersetzen. Praxis ohne akademische Würden – das war ihre Schule. „Als ich angefangen habe, hab’ ich mehr können müssen als die Männer und oft haben die Handwerker gefragt: Ja können Sie das, verehrtes Fräulein?“ Da gewinnt man Statur und es braucht einiges an Lust und Leidenschaft für den Beruf, um dran zu bleiben – ergänzt um Erfahrung, die natürlich mehr ist als Wissen und Können. Das wird es wohl sein, was jemand, der das schärfste europäische Rentenalter weit hinter sich gelassen hat, nochmals dazu bringt, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen.

Nie ist sie aus dem Haus ausgezogen und ob sie die zweieinhalb Sommer Baustelle, zuerst unter dem Dach wohnend, dann im Schlafzimmer, dann in die Küche hinter sich gebracht hat, weiß sie so genau auch nicht mehr: Immer wurde an einer Ecke gebaut, woanders noch oder schon gewohnt. Bauen und Wohnen ganz nah beieinander, ineinander greifend. Das macht das fertige Haus zu einer ineinander greifenden Einheit, zu einem Ganzen und doch ist jeder Raum, ja Raumteil von hoher Individualität. Das Treppenhaus etwa, sicher mehr als eingehauste Treppe. Die Wendeltreppe wurde – da zu eng und beschwerlich – durch eine zweiläufi ge ersetzt, mit tiefem Podest, das gleichzeitig Blumenfenster ist und sich oben galerieähnlich zu einer Bibliothek öff net, um dann, nach wenigen Schritten, als eine steile, sich verjüngende „Himmelsleiter“ unterm Dach zu enden. Das ist einzigartig, auf das Haus zugeschnitten und höchst angemessen. Das lässt sich von jedem Raum sagen – hineingezaubert in die Struktur der Mauern aus Schlackensteinen, außen gedämmt und mit einer kräftigen, liegenden Stülpschalung versehen, der Holzbalkendecken, des steilen Sparrendachs. Und wo nötig, etwa dem Eingangsbereich mit der Bibliothek und dem Balkon darüber, wurde in ähnlicher Haltung erweitert, ein Giebel entgegengesetzt. Neue Raumteiler sind als Holzwände ausgeführt und bleiben sichtbar: Türen liegen bündig in den seidenmatt weiß gestrichenen Flächen im Gegensatz zu den Umfassungszargen in den matt weißen Putzfl ächen der Mauern. Auch hier das Wechselspiel von Einheit und Individualität.

Viele Proben waren nötig, bis das gebrochene Weiß als richtig empfunden wurde, mal ist es matt oder seidenmatt, mal glänzend gestrichen, mal hochglänzende Oberfl äche bei beschichtetem Material – dann mit den typischen schwarzen Kanten, die diese Verarbeitung kenntlich lassen. Dazu helles Buchenparkett, gelegentlich raumhohe Vorhänge in Eierschale, da eine gelbe Tischdecke, dort ein sandfarbenes Polster: Insgesamt eine variierte, dezent getönte Helligkeit, die in bestem Kontrast zu den Blautönen der weiten Blicke aus den Fenstern steht, belebt von Bücherregalen, Zimmerpfl anzen, einigen Bildern. Dem entspricht außen helles Ocker der Schalung, weiß gestrichenes Holz, weißer Putz, ausnahmsweise eine blaue Tür – eine lichte Stimmung. Überhaupt: das Licht. „Beim Bau der kleinen Bibliothek saß ich auf einem Stapel Gipsplatten und dachte mir: Du bist ja verrückt – das riesige Fenster. Da kam mit einem Mal die Abendsonne hinter den Wolken hervor und schien zu sagen: doch! Und seither weiß ich, das war richtig.“ Im Raum: keine Deckenlampen, Hängeleuchten nur über dem Tisch, viel indirektes Licht, Ergänzung der Fenster durch genau gesetzte Spiegel – „da hab’ ich’s vielleicht etwas übertrieben.“ So zu Bauen und zu Entwerfen macht frei von jeder Art von Schema. Natürlich gab es den Plan vorab, doch: „Ich habe während des Baus die ganze Zeit detailliert“, sagt sie. Entstanden ist ein Gebilde, das fast eine Erweiterung der Person ist, auf jeden Fall: ihr angemessen und ihr ebenbürtig.

Daten unf Fakten

Baujahr: 1926

Umbau: 2001-2003

Bauweise: Keller Ortbeton, EG Mauerwerk aus Schlackenstein, nachträglich gedämmt und verputzt. Obergeschosse Holzfachwerk, nachträglich gedämmt, zusätzlich Außendämmung, Stülpschalung. Innenausbau Gipskarton und Holz gestrichen.

Wohnfläche: 165 m² inklusive Gästewohnung

Entwurf, Planung, Bauleitung: Annelies Blenk, Dornbirn

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