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Drei Jahre Scherben kitten

Zwei bis drei Jahre, wenn nicht zusätzlich Unvorhergesehenes passiert: So lang setzt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Frankfurt, Prof. Dr. Norbert Walter, jenen Zeitraum an, bis zu dem die Folgen des jüngsten Börsecrashs und der diesem ein halbes Jahr vorgelagerten US-Immobilien/Finanzkrise halbwegs ausgestanden, bis das Vertrauen in die Märkte wieder aufgebaut sein dürfte.

Walter anlässlich eines Vortrags vor dem Hypo Private Banking Forum Donnerstag Abend im Gräflichen Palast Hohenems: „Das Fatale ist, dass nicht nur die amerikanische Immobilien- oder eine andere schwächelnde Branche zum Handkuss kam, sondern dass der gesamte Finanzmarkt abgestraft wurde. Also auch jene Aktien in den Keller geschickt wurden, hinter denen in Wahrheit Rekordgewinne und beispiellose Erfolgsstories stehen.“ Wenn dann wie gestern mit der Rekordbetrugsmeldung bei Societe Generale (siehe unten) gleich der nächste Keulenschlag folgt, verwundere es niemand mehr, dass jahrelanges Aufräumen und Scherbenkitten angesagt ist.

Der Experte sieht in nächster Zeit viel Nervosität und somit Volatilität im Börsegeschehen. Und „die Stunde derer schlagen, die auf viel Geld sitzen und vielleicht schon lang auf solche Aktien-Schnäppchen warteten“. Sollte man jetzt also kaufen, obwohl’s vielleicht noch dicker kommt? Walter: „Wenn Sie genug auf der Seite haben, ja, auch wenn Sie das Geld lang nicht brauchen, ja. Ideal wären 10, 20 Jahre, in denen gewiss wieder optimale Ausstiegszeitpunkte anfallen.“

Prof. Walter ist überzeugt, dass wir die US-Probleme schon bald viel deutlicher zu spüren kriegen, als es durch die dortige Immobilien- und Subprime-Krise der Fall war. Erstens sind unsere eigenen Handelsbeziehungen mit dem Wirtschaftsriesen beeinträchtigt – Amis ohne Geld kaufen weniger Autos, das schmerzt die deutschen Autobauer und deren österreichische Zulieferer. Weil aber auch US-Zulieferer aus Canada, Mexiko oder Taiwan ihre Ware nicht anbringen, brauchen die z. B. auch weniger oder gar keine Maschinen mehr aus Europa. Ganz zu schweigen von schwachem Dollar und Euro im Höhenflug, die unsere Exporte abwürgen.

Auf jeden Fall wird sich das Wirtschaftswachstum durch die jüngsten Vorkommnisse klar verlangsamen. Die Investitionstätigkeit in Deutschland wird sich laut Walter 2008 halbieren, in Österreich nicht ganz so stark reduzieren. Der Arbeitsmarkt wird mit einem „time-lag“ von ca. einem halben Jahr darauf reagieren. Da kommt beinah gelegen, dass die Inflation auch die Lohnabschlüsse dynamisieren dürfte, und nach längerem Konsumstau wird das zusätzlich im Geldbörsl Befindliche zumindest vorübergehend auch den Inlandskonsum ankurbeln.

Auf unsere Frage, wo er spezifische Stärken und Schwächen der österreichischen Wirtschaft ortet, meinte der hochkarätige Ökonom, dass es bei uns noch zu viele staatlich geführte / beeinflusste Unternehmen, auch noch zu ausgeprägtes Vertrauen in / Verlassen auf den Staat gibt. Eine unserer größten Stärken sei das engagierte und rasche Nutzen von Chancen in Ost- und Zentraleuropa, auch unser Verkaufs- und Marketingtalent, vor allem auch das kompetente Besetzen von lukrativen Nischen.

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