Nanni Moretti nahm es nicht gelassen. "Plötzlich altern. Das kann passieren, vor allem wenn einer deiner Filme an einem Festival teilnimmt und nicht gewinnt. Dabei gewinnt ein anderer Film, deren Protagonistin von einem Cadillac geschwängert wird. Dann altert man blitzartig", kommentierte der italienische Regisseur, der mit seinem Film "Tre piani" bereits zum achten Mal am Wettbewerb in Cannes teilgenommen hatte, im Sommer den Sieg des gewagten Thrillers "Titane".
Drei Etagen - Kurzinhalt zum Film
Am Freitag nun kommt "Drei Etagen" in die österreichischen Kinos, wo der Cannes-Siegerfilm von Julia Ducournau schon länger gelaufen ist. Die Prognose ist wohl nicht allzu gewagt: Glühende Fans gleich beider Filme dürften eher rar sein. Denn wo die junge Französin mit radikalem Kino und grenzwertigem Drehbuch verstört, setzt der 68-jährige Italiener auf konventionelles Erzählkino. Obwohl: Auch Moretti, der als Schauspieler diesmal in eine Richterrobe schlüpft, hat Neues probiert. Erstmals hat er kein eigenes Originaldrehbuch, sondern einen Roman des Israelis Eshkol Nevo verfilmt, der im Original in Tel Aviv spielt.
Der Filmtitel bezieht sich auf drei Etagen eines Mietshauses in Rom: Zu ebener Erde, im ersten und im zweiten Stock leben Familien des gehobenen weißen Mittelstandes, die aber trotz ihres Wohlstandes jede Menge Sorgen zu bewältigen haben. Das Richterpaar hat einen rebellischen Sohn, der gleich zu Beginn des Films vor dem Haus betrunken eine Frau überfährt und tötet und mit dem Auto in einer Erdgeschoßwohnung landet. Die strengen Eltern erwarten, dass er ohne juristische Tricks seine gerechte Strafe annimmt. Das bedeutet Gefängnis. Und das radikale Ende einer gut behüteten Kindheit. In der letzten von drei, jeweils fünf Jahre auseinanderliegenden Episoden, ist der Richter gestorben und hinterlässt eine trauernde Witwe (eindrucksvoll: Margherita Buy), die aber zu dem mittlerweile aus dem Gefängnis entlassenen verlorenen, verstoßenen Sohn (Alessandro Sperduti) wieder Kontakt findet.
Ein Nachbar und Familienvater kommt dagegen zwar auch vor Gericht, aber ohne Strafe davon: Er lässt sich von der 16-jährigen Tochter einer Nachbarin verführen. Das kann nur böse enden. Der ihn verstörende Verdacht, seine eigene kleine Tochter sei vom alten, halb senilen Nachbar missbraucht worden, bestätigt sich dagegen nicht. Offenbar hat der Alte, der mit dem Mädchen erst nach Stunden in einem Park gefunden wird, wirklich nur die Orientierung verloren, und wurde von dem Kind nicht alleine gelassen. Eine Erkenntnis, die zu spät kommt, um den Gewaltausbruch des Vaters zu verhindern.
Und da ist auch noch eine junge Mutter (Alba Rohrwacher), deren Mann selten zu Hause ist, die mit dem Alleinsein aber besonders schlecht umgehen kann. Sie befürchtet, die psychische Erkrankung ihrer Mutter geerbt zu haben: Komm, großer schwarzer Vogel!
Drei Etagen - Die Kritik
Das Schicksal meint es nicht gut mit den Bewohnern dieses Hauses, und irgendwie stellt sich das Gefühl ein, sie seien alle irgendwie mit schuld an dem Schlamassel, in das sie tiefer und tiefer geraten. Leichtigkeit oder ironische Distanz ist in den "Drei Etagen" nicht zu Hause. Ganz nahe rückt der Film an seine Figuren heran.
Immerhin: Nicht alles zeigt Moretti. Manches spart er aus und hält damit Fantasie und Kombinationsvermögen der Zuschauer in Schwung. Doch einziehen möchte man - trotz bester Wohnlage - nicht unbedingt in dieses Haus mit drei Etagen. Vielleicht wäre ein kleines, einsames Häuschen im Grünen doch eher das Richtige. Ganz ohne Nachbarn.
(APA/Red)