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Die verkaufte Stadt

Gastkommentar von Dr. Andreas Unterberger
Gastkommentar von Dr. Andreas Unterberger ©APA / Wertinvest
Einzig mit massiven finanziellen Interessen ist zu erklären, dass jetzt das im Sommer schon einmal stornierte Hochhausprojekt neben dem Wiener Konzerthaus in nahezu unveränderter Form doch gebaut wird.

Dabei ist schon allein der Umstand, dass das Rathaus dafür die Einstufung Wiens als „Weltkulturerbe“ eiskalt preisgibt, ein unglaublicher Skandal. Das ist aber dennoch noch nicht der schlimmste Aspekt an der Hochhausaffäre. Drei andere sind noch viel schlimmer.

Völlig irrelevant ist hingegen die leichte Reduktion der geplanten Bauhöhe, deretwegen sich jetzt wie auf Pfiff alle zufrieden zeigen (was natürlich ganz andere Ursachen hat). Denn schon das jetzige Hotel Intercontinental mit seinen 39 Metern Bauhöhe hat immer wie die Faust aufs Auge in diese prachtvolle Ringstraßen-, Biedermeier- und Jugendstil-Stadtlandschaft gepasst (selbst wenn das nicht ein so potthässlicher Bau wäre). Wenn nun das neue Projekt sogar 66 Meter hoch sein wird, dann ist das jedenfalls ein Mega-Anschlag auf das Wiener Stadtbild. Es ist daher einfach eine intellektuelle Zumutung, wenn sich die offizielle Stadtplanung darüber glücklich zeigt. Mit einem reinen Pseudoargument: Im ursprünglichen – wahrscheinlich ohnedies nur aus taktischen Überlegungen zuerst vorgeschobenen – Projekt hätte der Hochhausklotz sogar 73 Meter hoch ragen soll.

Eine seriöse Bewertung eines Projekts darf aber doch nie mit einem anderen nie genehmigten Plan vergleichen, sondern nur mit der jetzigen Realität, also mit 39 Metern Bauhöhe. Oder maximal mit den Vorgaben der Unesco, der einzigen involvierten Institution, die da noch glaubwürdig ist. Die Unesco würde für einen Neubau an Stelle des Hotels eine Höhe von maximal 43 Metern tolerieren, damit der Titel „Weltkulturerbe“ für Wien (ja, es geht um ganz Wien!) erhalten bleibt. Das Rathaus selbst ist längst völlig unglaubwürdig. Es hätte ja auch schon den ersten Plan mit seinen 73 Metern (nach anderen Angaben sogar 77 Metern) beflissen akzeptiert. Dieser Plan ist auch nicht wegen Bedenken der Stadtverwaltung, sondern nur wegen des Widerstands engagierter Bürger dieser Stadt zeitweilig zurückgezogen worden.

Dabei hat die zuständige grüne Stadträtin nackten politischen Zynismus an den Tag gelegt. Sie hat nämlich ganz offensichtlich das Projekt vor einem halben Jahr nur deshalb zurückgenommen, damit sich im Präsidentenwahlkampf kein Bürgerunmut aufstaut. Dieser Trick ist aber einfach zu plump, um nicht durchschaut zu werden, wenn das Hochhaus jetzt wenige Tage nach der Präsidentenwahl fast unverändert genehmigt wird. Das macht völlig eindeutig klar, dass das Ganze von Rotgrün nur deshalb inszeniert worden ist, um jedes Hindernis für ihren Kandidaten zeitweilig zu verräumen. Dass man sich aber von Anfang an unbedingt verpflichtet gefühlt hat, das nur privaten (oder scheinprivaten) Spekulationsgewinnen dienende Hochhaus am Ende jedenfalls doch zu genehmigen.

Dieser Zynismus ist der drittschlimmste Aspekt des Skandals. Dieser Zynismus zeigt sich jetzt nach der Wahl auch auf anderen Feldern. Jetzt zieht man ungeniert alle offensichtlich längst geplanten Schweinereien durch. Jetzt schnalzt man im rotschwarzgrünen Einvernehmen die ORF-Zwangsgebühren in die Höhe (obwohl der ORF durch einen ständig steigenden Fernsehteilnehmerkreis ohnedies große Zusatzeinnahmen hat). Jetzt kann man auch beginnen, den Widerstand gegen den türkischen EU-Beitritt zu entsorgen. Jetzt können die Bürger nur noch voll Panik warten, was sonst noch an Grauslichkeiten in den nächsten Wochen auf sie zukommt.

Das Zweitschlimmste ist, mit welchen Methoden es offensichtlich gelungen ist, fast alle potenziellen Gegner des Projekts zu „überzeugen“. Auch zwei der drei Wiener Oppositionsparteien und die sogenannten Fachbeiräte haben zugestimmt, ohne einen halbwegs glaubwürdigen Grund dafür nennen zu können. Vor den dick mit Inseraten gefütterten Zeitungen braucht das Wiener Rathaus sowieso keine Angst zu haben. Und die Kronenzeitung ist überdies von Anfang an auch aus sonstigen Interessen eindeutig dafür gewesen. Das Allerschlimmste am Konzerthaus-Hochhaus aber ist eine ganz grundsätzliche Schockerfahrung: Den Machthabern im Rathaus ist diese Stadt, ist alles, was Wien ausmacht, einfach wurscht geworden. Sie bemühen sich nicht einmal mehr irgendwie, das zu bemänteln. Die Zeiten eines Helmut Zilk, der sich noch voll mit Wiens Wert identifiziert hat, sind vorbei.

Dabei ist doch ganz eindeutig: Es geht vor allen anderen Aspekten um Wien und nicht um die Unesco, so lobenswert charaktervoll die sich auch verhält. Der wesentlichste Schatz Wiens ist nun einmal seine gebaute Schönheit. Die macht den zentralen Wert der Stadt aus. Ihr kommt nur noch die überragende Bedeutung Wiens für die klassische Musik gleich. Diese wird übrigens neben den Bundesinstitutionen Staats- und Volksoper primär durch zwei private Institutionen (Musikverein und Philharmoniker) fast subventionsfrei lebendig gehalten, während sich das Niveau des Rathauses mehr auf der Ebene „Life Ball“ und Donauinselfest bewegt. Einzig diese beiden Faktoren bringen jährlich Millionen Touristen nach Wien.

Diese so attraktive gebaute Schönheit der Stadt ist bis vor genau hundert Jahren akkumuliert worden. Durch Bauten in Jugendstil, Gründerzeit, Barock und Gotik. Danach war absolut nichts mehr. Ich habe jedenfalls noch nie einen Touristen erlebt, der wegen Karl-Marx-Hof oder UNO-City nach Wien gekommen wäre. Einer Frau Vassilakou und einem Herrn Häupl ist diese Stadt aber ganz offensichtlich schnurzegal. Eine gebürtige Griechin und ein gebürtiger Niederösterreicher haben absolut null Sensorium für die Schönheit Wiens. Sie begreifen einfach nicht, dass diese Schönheit – ganz unabhängig vom touristischen Label „Weltkulturerbe“ – für die Wiener einen riesigen emotionalen Wert hat. Vielleicht glauben sie auch, dass diese kulturinteressierten Wiener Bürger eh bald aussterben werden.

In dieser Gesinnung patzt man Hochhäuser einfach dort hin, wo sie den meisten Profit bringen. Da lässt man neben der Karlskirche hässliche Betonbauten hochziehen. Da entstellt man Hunderte Gründerzeit-Häuser durch hässliche Dachbodenausbauten. Da lässt man das Johann-Strauß-Juwel Zögernitz verfallen. Da verwandelt man das einstige Villenviertel Hohe Warte in eine Betonwüste abgrudtief hässlicher Bauten. Da verunstaltet man das Jugenstiljuwel Steinhof. Da hat man die alten Heurigen-Vororte kaputt gehen lassen.

Alles wurscht. Im liberalen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts hat die damalige Stadtverwaltung noch beinhart eine strenge Bauordnung durchgesetzt. Im verwelkenden Sozialdemokratismus des 21. Jahrhunderts ist alles möglich geworden, wo irgendwer Profit machen kann. Und auch allen anderen Parteien machen mehr oder minder mit. Die Grünen überall; beim Hochhaus sind Schwarz und Pink üble Mittäter; und gegen eine Rettung Neustifts legen sich die Blauen quer.

Noch einmal zurück zum Hochhaus. Alle Argumente, die da zugunsten dieses Klotzes von einer Armee von PR-Agenten in die Diskussion geworfen worden sind, sind jedenfalls lächerlich:

  • „Sozialer Wohnbau ist notwendig“: Bei den Luxus-Preisen, die da künftig für Wohnungen im Hochhaus verlangt werden (aus den genannten Gründen auch verlangt werden müssen), hat das mit sozialem Wohnbau nicht das Geringste zu tun. Das wird eine reine Oligarchen-Burg.
  • „Wo soll man denn sonst bauen?“ Jenseits der Donau wie auch am Südrand der Stadt kann man fast unendlich viele Hochhäuser bauen (man könnte und sollte dort sogar weit pfiffigere bauen als jene, mit denen die Stadt bisher bereichert worden ist).
  • „Wien kann doch nicht erstarren.“ Schwachsinn. Erstens kann und soll man an den genannten Plätzen ohnedies so kreativ wie nur möglich bauen. Zweitens geht es nur um den Schutz des historischen Wiens innerhalb des Gürtels und um ein paar kleine Vororte. Der Großteil des Stadtgebiet kann voll dynamisch genutzt werden.
  • „In anderen Städten wird doch auch viel Modernes gebaut.“ Ja, aber zumindest in Europa fast nirgendwo in den historisch wertvollen Stadtgebieten. Wer daran zweifelt, den sollte man am besten zwangsverfrachten, um beispielsweise Dutzende italienische und Schweizer Städte zu besichtigen. Ja, auch in der angeblich so kapitalistisch geprägten Schweiz werden in den schönen alten Innenstädten sogar die Dachlandschaften perfekt erhalten; man steige dort nur auf einen alten Stadt- oder Kirchturm, um sich das anzusehen. Aber auch Metropolen wie Paris, London, Amsterdam, Budapest oder Madrid zeigen, dass man dort durchaus in bestimmten Gegenden modern und hoch bauen kann, dass man aber zugleich beinhart große historische Teile der Stadt schützt. Und die Polen haben sogar völlig zerstörte Innenstädte penibel rekonstruiert. Dass viele deutsche Städte im Krieg total zerstört und hässlich wiederaufgebaut worden sind, ist zwar tragisch, aber sicher keine Rechtfertigung für Häupl & Co.
  • „Ist doch egal, die Touristen kommen sowieso, auch ohne Weltkulturerbe.“ Würde das stimmen, dann wäre unerklärlich, warum fast alle Orte, die „Weltkulturerbe“ sind, das in ihrer touristischen Selbstvermarktung laut betrommeln. Natürlich, ein Teil der Touristen würde weiterhin kommen, zumindest solange große Teile der Welt als unsichere Destinationen gemieden werden. Nur gibt es jetzt schon Reisegruppen aus dem rasch reich werdenden Ost- und Südasien, die einfach Angebote buchen wie „Europa mit fünfmal Weltkulturerbe“, weil sie sonst gar keine Anhaltspunkte kennen, was denn da in Europa überhaupt sehenswert ist. Die werden dann halt nicht mehr kommen. Eh wurscht.

Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

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