Erschreckend sind jedoch die Detailzahlen: Das mittlere Nettoeinkommen von Kunstschaffenden in Österreich beträgt rund 1.000 Euro monatlich und liegt damit nur knapp über der Armutsgefährdungsgrenze, 37 Prozent liegen sogar darunter (gegenüber 12,6 Prozent der Gesamtbevölkerung und sieben Prozent der Erwerbstätigen).
Drei Viertel aller Kunstschaffenden müssen sich abseits ihrer künstlerischen Tätigkeit etwas dazuverdienen, um überleben zu können. Diese und viele andere alarmierende Daten finden sich im Bericht “Zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Österreich”. Die von der L&R Sozialforschung im Auftrag des Kulturministeriums durchgeführte Untersuchung wird jedoch weiterhin unter Verschluss gehalten.
Die Kulturszene, in der die Rohfassung des Berichts längst kursiert, versteht diese Zurückhaltung nicht: Die insgesamt verheerende Lagebeschreibung sollte im Gegenteil dringendes Handeln nahe legen, meint man. Am Montag (22.9.) will der Kulturrat Österreich, der Zusammenschluss der Interessenvertretungen von Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden, erstmals in einer Pressekonferenz zur Studie Stellung nehmen.
“Wir fordern als ersten Schritt, dass eine interministerielle Kommission mit Experten und Entscheidungsträgern aus den Ministerien darüber berät”, sagt Vorstandsmitglied Sabine Kock im Gespräch mit der APA, “Es muss der Handlungsbedarf anerkannt und mit den Schuldzuweisungen Schluss gemacht werden. Die Mär, dass es sich bei Künstlern um eine privilegierte Bevölkerungsgruppe handelt, ist endgültig widerlegt. Hier handelt es sich um massive strukturelle Probleme.”
Drei Viertel der rund 1.800 Kunstschaffenden, die sich an der Untersuchung beteiligten, gehen auch “kunstnahen und/oder kunstfernen Tätigkeiten” nach, ohne die ein Überleben nur für wenige Ausnahmen möglich scheint. “Die erschreckende Erkenntnis der Studie ist: Selbstständige künstlerische Tätigkeit verurteilt zu Armut oder führt zur Abhängigkeit von privaten oder öffentlichen Zuwendungen”, findet auch Gerhard Ruiss, der Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren, deutliche Worte.
Mit dem Existenzkampf gehe aber auch eine zunehmende Entprofessionalisierung einher. Die Ausübung von Kunst droht im Kulturland Österreich in manchen Bereichen zum reinen Hobby zu werden. Neben der weiteren Verschlechterung der Lage im Vergleich zu Untersuchungen vor rund zehn Jahren belegt die Studie auch die noch dramatischere Situation bei Künstlerinnen. Sie verdienen rund 35 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen: “Zwei Drittel aller weiblichen Kunstschaffenden können von ihrem künstlerischen Einkommen nicht leben – dieses beträgt weniger als 6.657 Euro p.a.”, heißt es in der Studie, die der APA vorliegt. Beim persönlichen Gesamteinkommen sinkt die Differenz auf 26 Prozent: “Die mittlere Künstlerin verfügt über ein Einkommen von 10.700 Euro p.a. – ihr männliches Pendant über 14.500 Euro.”
Allerdings ist das Problem länderübergreifend: “Überall, wo die soziale Lage der Künstler so detailliert erhoben wurde, geht es ihnen signifikant schlechter als dem Durchschnitt”, sagt Kock. Die Rezepte dagegen sind allerdings unterschiedlich. In Irland etwa genießen Künstler Steuerfreiheit, was heimischen Literaten wie Felix Mitterer und Christoph Ransmayr in der Vergangenheit den Entschluss zur Übersiedlung auf die Grüne Insel erleichterte. In Frankreich gibt es das System der “intermittents du spectacle”, bei dem frei arbeitende Kulturschaffende einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung erwerben können.
Die Niederlande haben ein über jeweils vier Jahre laufendes Grundsicherungs-System für Künstler, bei dem der Eigenverdienst-Anteil jährlich steigen muss. Gewährt wird also so etwas wie eine Starthilfe in eine künstlerische Existenz, in der man sich anschließend selbst zu bewähren hat.
In Deutschland gibt es seit 1983 ein von vielen für vorbildlich angesehenes Künstlersozialversicherungsgesetz. Dort leisten rund 150.000 selbstständige Künstler und Publizisten jeweils den halben Beitrag für einen vollen Versicherungsschutz, rund 20 Prozent trägt der Bund, 30 Prozent jene Unternehmen, die kreative Leistungen vermarkten oder verwerten. “Das System kann nur funktionieren, wenn alle mitmachen und ihren Teil leisten”, schrieb der deutsche Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz 2007 im Vorwort zu einem Buch über das Künstlersozialversicherungsgesetz (Download: http://www.kulturrat.de/dokumente/ksvg-buch.pdf) und kündigte eine bessere Überprüfung an.
Diese ergab jedoch, dass sich viele Unternehmen vor ihrer Pflicht, in die Künstlersozialkasse einzuzahlen, gedrückt hatten. Im Bundesrat starteten daraufhin mehrere deutsche Bundesländer eine Initiative, die Künstlersozialversicherung abzuschaffen oder “zumindest unternehmerfreundlich zu reformieren”. Erst vor wenigen Tagen wurde dieser Versuch nach einem Proteststurm wieder fallen gelassen.