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"Die Ratten" im Volkstheater

In "Die Ratten" im Volkstheater: Erich Schleyer, Susa Meyer
In "Die Ratten" im Volkstheater: Erich Schleyer, Susa Meyer ©Christoph Sebastian
Autor Dimitre Dinev holte im Auftrag des Volkstheaters Gerhart Hauptmanns Stück "Die Ratten" von Berlin nach Wien. Am Freitag feiert die Inszenierung Premiere.

“Es ist ein Stück, das man gerne selber geschrieben hätte. Es hat eine archetypische Kraft, arbeitet mit vielen Typen und ist absolut zeitlos.” Dimitre Dinev gerät richtig ins Schwärmen, wenn er über Gerhart Hauptmanns Tragikomödie “Die Ratten” spricht. Der gebürtige Bulgare, der 1990 über die grüne Grenze nach Österreich flüchtete und hier zu einem geschätzten Autor wurde, hat im Auftrag des Wiener Volkstheaters das stark berlinerisch gefärbte Stück bearbeitet. Kommenden Freitag (8. Oktober) ist Premiere. In der Regie von Ingo Berk spielen u.a. die aus Graz geholten Ensemble-Neuzugänge Andrea Wenzl (Pauline Piperkarcka) und Dominik Warta (Herr John).

Keineswegs habe er aus dem 1911 uraufgeführten düsteren Sozialdrama, in dem Menschen in tiefster Armut ums Überleben kämpfen und dabei im Fall des Dienstmädchens Pauline sogar bereit sind, ihr Kind zu verkaufen, ein wienerisches Dialektstück gemacht, versichert Dinev im Gespräch mit der APA. Er habe vielmehr seine vielfältigen Spracherfahrungen als Emigrant verwendet: Intuitive Erfassung des Gesprochenen ohne eigentliche Kenntnis der Sprache, Aneignung von Sprachbausteinen, die ohne Grammatikregeln an einander gefügt werden. “Ich habe nichts an den Figuren, der Handlung oder der Dramaturgie geändert, aber einen anderen Rhythmus ins Spiel gebracht. Wenn Hauptmanns Stück Jazz war, dann ist es jetzt eher rockig.”

“Wie Ausländer eine Sprache benutzen, darin liegt eine große Anarchie, aber oft auch Poesie”, erzählt Dinev. Er selbst hat Deutsch zunächst in Bulgarien gelernt, wo er in den deutschen Kindergarten, später in das deutsche Gymnasium gegangen ist. “In zwei Jahren Armeedienst habe ich alles wieder vergessen. In Österreich habe ich die Sprache dann einerseits auf den Baustellen und bei meinen vielen weiteren Jobs, andererseits auf der Uni wiedergelernt. Das waren zwei sehr unterschiedliche Welten.”

In der Emigration hat Dinev buchstäblich ganz unten neu angefangen: “Ich habe auf der Straße übernachtet, und die Ratten haben an mir geschnuppert.” Integration und Aufstieg werde einem nicht leicht gemacht, weiß er aus eigener Erfahrung: “Jeder Ausländer, der hier einen Job findet, hat tausendmal mehr dafür gemacht als politisch dafür getan wird. Das ist eine enorme Leistung für einen Fremden.” Und auch der Spracherwerb sei keineswegs einfach, nicht nur aus Zeitgründen: Oft spreche man mit Ausländern nur in einem stark vereinfachten Deutsch, das ihnen gar keine Lernmöglichkeit biete.

Er selbst hat sich die als Kind erlernte Sprache wieder zurückerobert und ist seit seinem Roman “Engelszungen” (2003) ein Fixpunkt der zeitgenössischen österreichischen Literatur. “Der große Unterschied von mir zu einem hier aufgewachsenen Autor ist: Meine ganze Existenz war von der Sprache abhängig, von jedem neuen deutschen Wort, das ich gelernt habe.”

Mit seiner letzten Bearbeitung, Dostojewskis “Schuld und Sühne” für die Salzburger Festspiele, hatte Dinev kein Glück. Regisseurin Andrea Breth entschied sich gegen Dinevs Version und erarbeitete eine eigene. “Das war hart. Ich hatte so viel Kraft investiert.” Es gebe durchaus Interessenten an seiner Bearbeitung, sagt der Autor, doch vor einer Aufführung müsse er die vorliegende “Kompromissfassung” in seinem Sinne umarbeiten. Lieber wolle er zunächst “mein Bedürfnis nach Prosa stillen”. Sofern die einjährige Tochter ihm Zeit dazu lässt.

Als nächstes wird man Dimitre Dinev aber in einem ganz anderen Genre wiederbegegnen: Gemeinsam mit der Regisseurin Anja Salomonowitz hat er einen Western geschrieben: “Ein gestrandeter Fremder, fremd am falschen Ort, auf der Suche nach seinem Recht, seinem Geld und nach Menschen, die noch an das Göttliche glauben. Dinge, die in dieser Welt nicht leicht zu finden sind”, heißt es in der Synopsis zu “Spanien”. Die Dreharbeiten laufen bereits.

“Die Ratten” von Gerhart Hauptmann, Bearbeitung für das Volkstheater Wien von Dimitre Dinev
Regie: Ingo Berk, Bühne: Damian Hitz, Kostüme: Kathrin Stadeler, Musik: Patrik Zeller
Mit Andrea Wenzl, Susa Meyer, Claudia Sabitzer, Nanette Waidmann, Erich Schleyer, Dominik Warta, Simon Mantei, Thomas Bauer u.a.
Premiere: 8. Oktober, 19.30 Uhr
Nächste Vorstellungen: 9., 13., 14., 18., 23., 29. Oktober
Karten: 01 / 52111-400, http://www.volkstheater.at

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