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Die große Existenzkrise der Sozialdemokratie

©APA
Gastkommentar von Andreas Unterberger: Das, was sich am vergangenen Wochenende beim Wiener SPÖ-Parteitag abgespielt hat, hat viel tiefere Ursachen als die bloße Meinungsverschiedenheit über ein neues Asylgesetz.

Auch wenn es der ORF und andere gleichgeschaltete Medien und Agenturen unter den Teppich zu kehren versucht haben; auch wenn sich viele in der SPÖ angesichts der bevorstehenden Präsidentenwahlen derzeit noch irgendwie zurückhalten, so kann kein Zweifel bestehen: In der SPÖ ringen zwei heute komplett verschiedene Parteiengruppen um die Vorherrschaft. Und dieser Kampf wird nach der Wahl mit voller Energie auflodern.

Das Ringen hat in den 70er Jahren begonnen, als sich eine intensive neomarxistische Studentenbewegung mit radikal-ideologischen Zügen entwickelt hat. Unter Kreisky, ebenso wie in Deutschland unter Brandt wurde ein großer Teil dieser Bewegung in der Sozialdemokratie willkommen geheißen. Sie trat dann den Marsch durch die Institutionen an und entradikalisierte sich dabei nur zum Teil.

Innerhalb der Partei wurden dadurch die traditionellen Schichten immer mehr zurückgedrängt. Die einfachen Arbeiter und Pensionisten bildeten zwar weiter den Hauptwählerstamm der Partei, wurden aber in dieser zunehmend entheimatet. Solange ihre persönliche wirtschaftliche Entwicklung gut ging, setzten diese traditionellen Wähler der Unterwanderung ihrer Partei keinen effektiven Widerstand entgegen. Themen wie in den 80er Jahren der (wie wir heute wissen, von Moskau gesteuerte) Pazifismus oder später der Feminismus oder die Unterstützung für exotische Guerilleros von Nikaragua bis Südafrika oder eine militante „Antifa“: Das alles waren zwar nicht die Themen der Industriearbeiterschaft, aber störten diese auch nicht essenziell.

Ein erstes – buchstäbliches – Aufeinanderprallen gab es in Österreich bei den beiden Themen Atomkraftwerk und Hainburger Donauauen. Zwar versuchte beide Male die SPÖ-Führung noch, sich an die Seite der Arbeiterinteressen zu stellen. Aber sie unterlag, weil zur Gegnerschaft der ideologischen Linken in der eigenen Partei auch jene des Bürgertums gekommen war, das die Sozialdemokratie damals jahrelang von der Macht ausgeschlossen hatte.

Der Vormarsch der Linken in der Sozialdemokratie wurde dann dadurch wieder ein wenig relativiert, als ein Teil der ideologischen Linken eine eigene Partei, die Grünen, bildete. Viele der grünen Politiker, wie Peter Pilz oder Alexander van der Bellen, hatten zuvor in der SPÖ Karriere versucht. Daher blieb da wie dort ein Gefühl der engen Verwandtschaft aufrecht. Die Grünen sahen beispielsweise lange nur Koalitionen mit den Sozialdemokraten als einziges für sie mögliches Ziel.

In der Sozialdemokratie versuchten die Parteiführungen jahrzehntelang einen Spagat zwischen dem ideologischen und dem Gewerkschaftsflügel. Ein dritter Flügel, der in Deutschland vor allem unter Helmut Schmidt sehr wichtig und erfolgreich war, war in Österreich völlig unbedeutend geblieben: Schmidt war unbeugsam proamerikanisch, antikommunistisch und wirtschaftsorientiert, er lehnte vehement eine zu rasche Einwanderung ab und blieb gegenüber dem vor allem in Deutschland starken Linksterrorismus kompromisslos. Die Herren Schröder, Müntefering und Steinbrück waren freilich die letzten geistigen Erben Schmidts. Von ihnen ist in der SPD nichts mehr zu spüren.

Heute gelingt in der Sozialdemokratie aber auch der Spagat zwischen Ideologen und Gewerkschaftern nicht mehr. Statt dessen gibt es ein wildes Zickzack. Das wurde speziell unter Werner Faymann und Sigmar Gabriel sichtbar. In Österreich kommen auch noch starke Korruptionselemente dazu (etwa die massive Medienbestechung), die aber auch nicht gerade helfen.

Dieser Zweispalt ist aber nun zu einer existenziellen Krise der Sozialdemokratie geworden. Aus mehreren Gründen:

Erstens aus solchen der Demographie und sozialen Veränderung: Die traditionelle Massenbasis, die klassische Industriearbeiterschaft ist zahlenmäßig immer kleiner geworden.

Zweitens: Jene akademisch-ideologische Schicht, die unter Kreisky respektive Brandt durch die intellektuelle Brisanz der Parteiführer an die Sozialdemokratie gebunden worden ist, findet an dieser unter den jetzigen Führern nichts mehr interessant, sondern eher nur noch peinlich. Sie schwimmen heute zwischen Grün und Neos.

Drittens: Die Massenmigration hat die Interessensgegensätze innerhalb der Partei voll ausbrechen lassen. Die Differenzen laufen letztlich auf die Frage hinaus: Wollen wir diese Massenmigration (Faymann und Häupl bis Jänner 2016) oder wollen wir sie nicht (Faymann seit Jänner)? Dahinter stecken nicht nur ideologische, sondern auch parteiegoistische Fragen: Werden die Zuwanderer dauerhaft „unsere“ Wähler? Oder werden sie ab einer bestimmten Größe dann selbst islamische Parteien bilden?

Viertens: Die Arbeiterschaft tut etwas, was sie hundert Jahre nicht getan hat: Sie wendet sich in breiter Front von der SPÖ ab und ist jetzt mindestens zur Hälfte bei der FPÖ gelandet, wo sie sich mit ihren Einstellungen viel besser repräsentiert sieht. Sie lehnt so wie breite Schichten außerhalb der Partei sowohl von ihrem Lebensgefühl her wie auch aus Angst um den Arbeitsplatz vehement die Zuwanderung ab.

Ergebnis: Die sozialdemokratischen Parteien verlieren seit Jahren kontinuierlich (abgesehen von einzelnen lokal beliebten Regionalpolitikern). Sie sind heute schon froh, wenn sie bei Umfragen in Deutschland oder Österreich über 20 Prozent kommen.

Angesichts dieser historischen Krise ist es freilich wirklich nur noch ein Detail, wenn beim Wiener Parteitag rund hundert Delegierte angewidert hinausgehen, wenn der Bundesparteiobmann spricht.

Und es ist auch kein Zufall, dass zur gleichen Stunde der Fraktionschef der SPD, Oppermann, in einem Interview sagen muss: „Es gibt nichts zu beschönigen: Die Situation ist ernst für die SPD.“ Es gebe „tiefer liegende Ursachen für die derzeitigen Umfragen, etwa den Umbruch der Parteienlandschaft in Deutschland und ganz Europa.“

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