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Die Antwort auf das Integrationsversagen

©AP
Gastkommentar von Johannes Huber: Trotz Gemeinderatswahlkampf gibt’s ein Sommerloch, in dem Medien und Politiker dankbar ein Thema aufgreifen: das Antreten der Liste „Gemeinsam für Wien“. Böse Zungen sprechen gar von einer Türkenpartei.

Zumal ihr Gründer, der Arzt Turgay Taskiran, in einem ideologischen Naheverhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan stehen soll. Das scheint niemanden kalt zu lassen. Die FPÖ sieht einen Beleg dafür, „dass der Integrationswille in der türkischen Community offenbar gar nicht gegeben ist“. Und selbst Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) lässt wörtlich wissen, dass eine solche Liste seiner Meinung nach „abzulehnen“ ist, zumal sie das Gegenteil von Integration zum Ausdruck bringe.

Warum die Panik? Noch handelt es sich bei „Gemeinsam für Wien“ um ein Phantom. Wer nach Inhalten und Personen sucht, findet nichts. Rein gar nichts. Nicht einmal Turgay Taskiran konnte in diversen Interviews auch nur annäherungsweise erläutern, was die Partei will. Von daher müssen sich Mitwerber wie die Freiheitlichen oder Sebastian Kurz keine Sorgen machen. „Gemeinsam für Wien“ wird ihnen und ihren Gesinnungsfreunden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Stimmen kosten.

Trotzdem sollte man sich mit dem Phänomen näher auseinandersetzen. Zunächst ist es entlarvend, dass Kurz in einem „Standard“-Interview allen Ernstes erklärte, wie sich Zuwanderer politisch zu betätigen hätten. Nämlich in einer etablierten Partei. Also bei der ÖVP zum Beispiel. Doch genau sie ist die Partei, die seit 1986 in Regierungsverantwortung steht und damit das offenkundige Integrationsversagen zu einem guten Teil verschuldet.

Sebastian Kurz mag sich als zuständiger Minister mit unzähligen Projekten um ein gutes Zusammenleben zwischen In- und Ausländern sowie Alt- und Neo-Österreichern bemühen. Doch entweder reicht das nicht aus oder er steht von vornherein auf verlorenem Posten (und bemüht sich, sich das nicht anmerken zu lassen). Die Probleme in diesem Bereich treiben den Freiheitlichen die Wähler jedenfalls zu Tausenden zu.

Von Integration zu reden ist überhaupt leichtsinnig. Österreich vermittelt selbst hochqualifizierten Ausländern, die interessiert wären, zuzuwandern, den Eindruck, sie nicht haben zu wollen. Also kommen sie auch nicht. Und die bestausgebildeten Studienabsolventen aus sogenannten Drittstaaten verlassen das Land bei erster Gelegenheit wieder. Das ist schade. Denn beide Gruppen bräuchten weder Sprachkurse noch Wertevermittlungsseminare, geschweige denn finanzielle Unterstützung. Nach kurzer Zeit wären sie ganz automatisch „integriert“.

Doch auch das wären sie nur dem Schein nach. Selbst auf kommunaler Ebene, wo es darum geht, das Zusammenleben in der unmittelbaren Umgebung zu regeln, wird ihnen das Wahlrecht vorenthalten. Im Klartext: Bei der Gemeinderatswahl am 11. Oktober dürfen 320.000 Wienerinnen und Wiener ab 16 nicht wählen, obwohl sie schon lange in der Bundeshauptstadt wohnen und auch Steuern zahlen. Ihr Handicap ist, dass sie Ausländer sind – und damit von der Mitbestimmung ausgeschlossen bleiben.

Wenn man versucht, sich nur für ein paar Augenblicke in die Haut einer solchen Person zu versetzen, dann ist es wohl schwer vorstellbar, sich in einer etablierten Partei zu engagieren. Anders ausgedrückt: Es ist zumindest nachvollziehbar, wenn aus dieser Community heraus eigene politische Bewegungen entstehen.

Johannes Huber betreibt den Blog johanneshuber.me zur österreichischen Politik

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