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Die Angst Englands vor dem Elfmeterschießen

©EPA
Es ist das große Trauma der englischen Nationalmannschaft. Nirgendwo sonst ist die Angst vor einem 20 Zentimeter Durchmesser kleinen weißen Punkt auf einem Fußballfeld so groß.

Noch kein einziges Elfmeterschießen hat England bei einer WM-Endrunde gewonnen, dreimal kam für die “Three Lions” vom ominösen Punkt das Aus. Mittlerweile beschäftigen sich sogar Studien damit, warum hochbezahlten Profis aus elf Metern die Nerven versagen.

Den Ruf des Versagens in einem großen Spiel wird man sein Leben lang nicht los. Gareth Southgate – noch heute wird der englische Verteidiger vor allem mit seinem vergebenen Elfmeter im Halbfinale der Heim-EM 1996 gegen Deutschland assoziiert. Sechs Jahre zuvor war seinem Landsmann Stuart Pearce im WM-Halbfinale gegen den Erzrivalen Gleiches passiert. “Meine Welt ist zusammengebrochen”, erinnerte sich der aktuelle Co-Trainer des englischen Teams.

1990 gegen Deutschland, 1998 gegen Argentinien, 2006 gegen Portugal – in ihren drei verlorenen WM-Elfmeterschießen haben die Engländer die Hälfte ihrer insgesamt 14 Versuche vergeben. Kein Wunder also, dass Teamchef Fabio Capello seine Mannen schon lange vor Turnierbeginn Elfmeter trainieren ließ. Das soll am Sonntag ausgerechnet im mit Spannung erwarteten Achtelfinal-Duell mit Deutschland Früchte tragen. Die Deutschen aber haben noch nie ein wichtiges Penaltyschießen verloren.

Die brutalste Form der Entscheidung eines Fußballspiels war auch von einem Deutschen erfunden worden. Der mittlerweile 94-jährige Ex-Schiedsrichter Karl Wald aus Frankfurt/Main hatte 1970 die zündende Idee, K.o.-Spiele nicht durch Münzwurf oder Wiederholungsspiele zu entscheiden, sondern durch je fünf oder allenfalls mehr Elfmeter pro Team. Bei einer WM war die Methode erstmals im Halbfinale 1982 zur Anwendung gekommen, als sich die Deutschen trotz eines verschossenen Penaltys von Uli Stielike gegen Frankreich durchgesetzt hatten. Seither hat kein Deutscher mehr bei der WM einen Elfmeter verschossen.

Das WM-Finale 1994 war ebenso vom Punkt entschieden worden wie jenes von 2006. Hatte sich Italien vor vier Jahren in Deutschland gegen Frankreich durchgesetzt, so hatten die “Azzurri” 1994 in den USA noch gegen Brasilien das Nachsehen gehabt. “Es hat mich jahrelang beeinträchtigt”, gestand Italiens ehemaliger Superstar Roberto Baggio, der den Ball damals in die Wolken gejagt hatte. “Das war der schlimmste Moment meiner Karriere. Ich schlafe heute noch schlecht und träume hin und wieder davon.”

Elfmeterschießen, das ist reine Nervensache. Gewinnen kann praktisch nur der Torhüter. Wissenschafter raten den ausführenden Spielern, sich nicht von ihrem Gegenüber beirren zu lassen. Bereits eine minimale Abweichung des Keepers von der Tormitte zehn Zentimeter nach links oder rechts würde dem Schützen unbewusst suggerieren, dass die andere Ecke freier sei, haben deutsche Sportpsychologen herausgefunden. “Es ist ein psychologisches Duell”, meinte Deutschlands ehemaliger Weltklasse-Keeper Oliver Kahn. “Augenkontakt und Körpersprache können viel beeinflussen.”

Je ängstlicher die Schützen seien, desto mehr würden sie auf den Keeper reagieren, bestätigte Greg Wood von der britischen Universität Exeter. “Wir sind von der Natur so konditioniert, dass wir auf Bedrohungen in unserer Umgebung reagieren. In einer Elfmetersituation ist die einzige Bedrohung der Torhüter”, erklärte der Psychologe. “Die Kontrolle liegt aber allein beim Schützen, daraus muss er sein Selbstvertrauen nehmen.” Selbstvertrauen, das die Engländer vom Punkt nicht haben – alleine schon historisch bedingt.

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