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Deutschland: Köhler demonstriert Unabhängigkeit

Deutschlands neuer Bundespräsident bekam nur Lob. „Das war heute eine große Rede von ihm“, sagte SPD-Vorsitzender Franz Müntefering nach der Vereidigung von Horst Köhler.

CDU-Chefin Angela Merkel erklärte, sie habe „selten im Bundestag so viel gemeinsamen Applaus“ der Fraktionen gehört. Köhler habe eine „sehr lebensnahe Rede“ gehalten. „Diesen positiven Ton finde ich unglaublich wichtig.“

Wen der TV-Sender Phoenix auch fragte, immer kamen positive Reaktionen auf die Antrittsrede des 61-Jährigen, der als Kandidat von Union und FDP ins Rennen um das höchste Amt im Staat gegangen war. Er habe „eine Sprache gepflegt, die die Menschen verstehen“, sagte FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt und lobte den optimistischen Grundzug von Köhler. „Es war auch eine fröhliche Rede“, meinte die Kollegin von den Grünen, Katrin Göring-Eckardt. Selbst Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer musste einmal losprusten – als Köhler unter den deutschen Errungenschaften neben Westbindung, Wirtschaftswunder, deutscher Einheit und europäischer Einigung auch „die 68er mit ihren Impulsen und Auswüchsen“ nannte. Bundeskanzler Gerhard Schröder freute sich über das erneute Lob Köhlers – „Die Agenda 2010 weist in die richtige Richtung“ und deutete in Richtung Opposition, als der Bundespräsident mehr Konsequenz und Stetigkeit bei der Fortsetzung dieses Weges verlangte.

Der frühere Generaldirektor des Weltwährungsfonds (IWF) in Washington forderte energisch, Deutschland als einer der Motoren Europas dürfe nicht weiter ins Stottern geraten. Amerika nannte er trotz der Fehler der US-Politik „Hort der Freiheit“ und warb für gute Partnerschaft und neuen Dialog. Doch seine erste Auslandsreise wird ihn nicht in die USA, sondern nach Polen und Frankreich führen. Köhler wurde als zweitjüngstes von acht Kindern von evakuierten Bessarabien-Deutschen in Polen geboren. Seine Biografie sieht er als Auftrag und Verpflichtung, sich gerade für die Begegnung Deutscher mit den Menschen in den neuen EU-Mitgliedsländern einzusetzen. Und als internationaler Experte warb er für mehr Entwicklungshilfe. Afrika dürfe nicht vergessen werden.

Wie unmittelbar nach seiner Wahl durch die Bundesversammlung am 23. Mai griff Köhler auch in seiner Antrittsrede wieder seine Vision von Deutschland als „Land der Ideen“ auf. In der Vergangenheit seien oft Ideen in Deutschland entstanden, Arbeitsplätze aber anderswo. Dies gelte für Konrad Zuses ersten Computer ebenso wie die MP3-Technik – ein Format zur Speicherung von Musikdaten ohne Frequenzen oder Lautstärken, die der Mensch ohnehin nicht wahrnehmen kann. „Ich erkläre jedem nach der Sitzung, was die MP3-Technik ist“, bot Köhler den Vertretern von Bundestag und Bundesrat an.

Sogar eine gute Nachricht von der Fußball-Europameisterschaft hatte der neue Bundespräsident parat. „Der offizielle Ball der EM wird zwar in Asien produziert, sein aufwendiges Know-how stammt aber aus Deutschland und sichert bei uns auch Arbeitsplätze. Anders als sein bleischweres, vom Regen vollgesogenes Vorgängermodell beim Wunder von Bern hat der EM-Ball 2004 eine nahtlose Oberfläche: eine Spitzenleistung deutscher Materialforschung.“ 1954 sei das Ergebnis aber besser gewesen, knurrte Bundeskanzler Gerhard Schröder unter dem Gelächter des Hauses.

Überhaupt wurde bei dieser Rede viel geklatscht und viel gelacht. Köhler habe eine offene Rede, sehr analytisch, unterhaltsam und amüsant gehalten, sagte der Politikwissenschafter Karl-Rudolf Korte. Der Bundespräsident spreche in Beispielen statt in Floskeln. „Er macht einen unglaublich unabhängigen Eindruck.“ Korte prognostizierte: „Er wird auch Bodenhaftung behalten.“ Köhler appellierte an die Deutschen, sich auf keinen Fall mit dem derzeitigen Zustand ihre Landes abfinden: „Wir sollten uns nicht selber einreden, wir könnten das nicht packen.“ Und er hatte eine griffige Erklärung parat, warum der 1997 von seinem Vorvorgänger Roman Herzog geforderte „Ruck“ noch immer nicht durchs Land gegangen ist: „Weil wir alle noch immer darauf warten, dass er passiert.“

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