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Der Zuschauer als Voyeur: "Traumnovelle" im Stundenhotel

Einmal mit guter Ausrede ins Stundenhotel gehen können - diese Gelegenheit bietet ab Sonntag eine Inszenierung von Schnitzlers "Traumnovelle" in der Kaisersuite im legendären Hotel Orient in der Wiener Innenstadt.

Obwohl Regisseur Ludwig Wüst sein Szenario eine “Traumatisierung der Erzählung von Arthur Schnitzler” nennt, läuft niemand Gefahr, traumatisiert zu werden. Die wichtigste Rolle der exklusiven Veranstaltung spielt nämlich das plüschig-schwüle Ambiente und das Vorspiel, bei dem die maximal 15 Besucher pro Vorstellung geschickt eingestimmt werden, der Hauptakt selber bleibt ein wenig unbefriedigend.

Zur Begrüßung erhält das Publikum, das gebeten wird, in Abendgarderobe zu erscheinen, an der intimen Bar des Hotels Augenmasken und ein Glas Champagner – dieses ist bei dem teuren Vergnügen (mit einem Minutenpreis von einem Euro für die 89-minütige Vorstellung) inkludiert. Auch die Warnung “Manche Szenen sind gewalttätig und sexuell explizit. Kein Zutritt unter 18 Jahre.” erhöht das Prickeln. Die charmante Lucy McEvil, die einem als Transvestit Nachtigall im Lauf des Abends noch öfter begegnen wird, führt die Gäste in die Kaisersuite. Hinter den Masken verborgen können sie sich ab sofort als Voyeure fühlen, Akteure müssen (bzw. dürfen) sie nicht werden.

Ludwig Wüst hat Schnitzlers Vorlage, die Stanley Kubrick zu seinem Film “Eyes Wide Shut” inspirierte, als erotisches Kammerspiel adaptiert und das Geschehen modernisiert. So findet sich der biedere Arzt Fridolin (Nenad Smigoc), dessen eheliches Sexualleben an der Seite seiner Gattin Albertine (Klara Steinhauser) ein wenig eingeschlafen ist, während die unausgelebten Fantasien und Ängste immer stärker werden, nicht nur in den Händen gelangweilt-routinierter Huren oder in den Armen seines Bekannten Nachtigall wieder, sondern auch als Teilnehmer eines Porno-Castings. Was er zuvor auf Video mit seiner Frau als Darstellerin mitansehen musste, erlebt er bald darauf als Parallelszene am eigenen Leib. “Now I want a very big and angry dog, Fridolin!” fordert eine mit Video-Kamera ausgestattete, energische junge Frau von dem nackten Arzt, der auch die blutige Komponente seiner sado-masochistischen Fantasien bebildert bekommt. Das Bellen gerät jedoch mehr zaghaft als zornig.

Fridolin wird von Nachtigall zu einer Orgie eingeladen, doch die gerät, trotz aller Verkleidungen und Rollenwechsel, reichlich hausbacken und kontrastiert bloß die Raffinesse und Verruchtheit vorgaukelnde Plüschwelt mit der nüchternen Wirklichkeit des Sexgewerbe-Alltags. Um wirklich ein Traumspiel zu erleben, das in verborgenen Winkeln geheime Wünsche freilegt, hätte der Zuschauer jedenfalls bei der gestrigen Presse-Premiere kräftig mit eigenen Fantasien nachhelfen müssen. Aber vielleicht sollte man die sich ja besser für einen späteren (Zu-)Zweit-Besuch im gleichen Etablissement aufsparen.

Hotel Orient, Wien 1., Tiefer Graben, Premiere: 11. November, 20 Uhr, Weitere Vorstellungen: 18., 25. November, 2., 9. Dezember, 20., 27. Jänner, 24. Februar, 2. März. Karten: 0699/10 66 08 59.
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